"Die Suche nach dem Österreichischen führt uns unweigerlich ins Archiv“
Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs
Schrift und Herrschaft
Dokument 01
Die Nonen des Februar 816, ein Verwaltungsakt am Hofe Kaiser Ludwigs des Frommen: Im ersten, im Österreichischen Staatsarchiv urkundlich greifbaren Teil dessen, was wir Österreich nennen, werden dem Salzburger Erzbischof Immunitätsprivilegien bestätigt – ein nahezu 1.000-jähriges Landesfürstentum beginnt.
Die älteste Urkunde im Österreichischen Staatsarchiv, ja die überhaupt älteste Originalurkunde, die in einem österreichischen staatlichen Archiv aufbewahrt wird, wirft Licht auf eine ferne Epoche – das frühe 9. Jahrhundert. Es wird noch fast 200 Jahre dauern, bis ein Territorium namens Österreich langsam auf der Landkarte sichtbar wird. Mit diesem Österreich des Mittelalters, bzw. sogar bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts, haben die hier beschriebenen Vorgänge nichts zu tun. Schauplatz ist das Erzbistum Salzburg unter seinem berühmten Erzbischof Arn, der in Kontakt zu Kaiser Karl dem Großen und seinem Hof stand.
Bedauerlicherweise ist der Urkunde, die am 5. Februar 816 ausgestellt wurde, ihr hohes Alter von mehr als 1.200 Jahren auch anzusehen: Durch Feuchtigkeit und Mäusefraß wurde wohl bereits in der Frühen Neuzeit ein Teil des Pergamentblatts zerstört. Da die Urkunde schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts abgeschrieben wurde, als sie noch intakt war, ist der Text trotzdem vollständig überliefert.
Dem Gesamteindruck des Dokuments tut der Textverlust jedoch keinen Abbruch. Charakteristisch ist das Chrismon zu Beginn des Textes, mit dem in zeichenhafter Form Gott angerufen wird. Die Buchstaben in der ersten Zeile sind in die Länge gezogen – dadurch wird der Text dieser Zeile hervorgehoben. Die Schrift an sich ist insgesamt leicht links geneigt und entspricht dem Vorbild der alten Merowinger-Urkunden. Sie ist stark kursiv, das heißt, die einzelnen Buchstaben sind oftmals miteinander verbunden.
Im unteren Drittel des Dokuments findet sich das Monogramm von Kaiser Ludwig dem Frommen – ein Zeichen, das aus den Buchstaben seines lateinischen Namens Hludouuicus gebildet wird. Das Herrschermonogramm ersetzt die eigenhändige Unterschrift des Urkundenausstellers. Beglaubigt wird die Authentizität der Urkunde außerdem durch die Rekognition – also die Anerkennung der Echtheit – des Kanzlers oder dessen Stellvertreters. Im Fall der Urkunde von 816 unterschreibt hier der Diakon Durandus anstelle des Kanzleichefs Helisachar. Rechts davon befindet sich ein als „Bienenkorb“ bezeichnetes Gebilde, das aus tironischen Noten besteht. Dabei handelt es sich um eine seit der Antike gebräuchliche Kurzschrift. Hier wird der Text der Rekognition des Kanzlers wiederholt. Leider nicht mehr vorhanden ist das auf die Urkunde aufgedrückte Siegel. Sichtbar ist noch der kreuzförmige Einschnitt, in den der Wachsklumpen, der den Siegelstempel trug, eingepresst wurde. Aus dem Vergleich mit anderen Urkunden Ludwigs lässt sich schließen, dass es wohl ein Gemmensiegel nach antikem Vorbild war, das die Büste eines römischen Kaisers zeigte. Ganz unten findet sich die Tagesdatierung der Urkunde nach dem römischen Kalender: Die Urkunde wurde an den Nonen des Februar, also am 5. dieses Monats, in Aachen im Königspalast ausgestellt. Das Jahr wird durch das Regierungsjahr des Kaisers und die so- genannte Indiktion angegeben. Die äußeren und inneren Merkmale des Dokuments lassen darauf schließen, dass die Urkunde in der kaiserlichen Kanzlei hergestellt wurde.
Inhaltlich bestätigt Ludwig der Fromme der Salzburger Kirche Rechte, die ihr bereits sein Vater, Karl der Große, verliehen hatte. Die Bestätigung ist wohl darauf zurückzuführen, dass Ludwig der Fromme befohlen hatte, alle von seinem Vater ausgestellten Privilegien zu erneuern und stilistisch umzuformulieren. Auf diese Aufforderung hin legte der Erzbischof von Salzburg dem Kaiser die Urkunde Karls des Großen zur Bestätigung vor. Aus diesem Grund ist auch nicht damit zu rechnen, dass der Ausstellung der Urkunde Verhandlungen und Interventionen vonseiten des Erzbischofs vorangegangen waren.
Doch was genau bestätigte der Kaiser dem Salzburger Erzbischof nun? Karl der Große hatte Erzbischof Arn und seinem Kloster bzw. Erzbistum, die zu diesem Zeitpunkt noch eine Einheit bildeten, Immunität und Königsschutz verliehen. Der Begriff Immunität geht zurück auf die römische immunitas, welche die Freiheit von öffentlichen Lasten aller Art bedeutete. Das konnte sowohl Steuerleistungen als auch Kriegsdienste umfassen. Im fränkischen Reich bedeutete die Immunität jedoch im weitesten Sinne Freiheit von fremder herrscherlicher Gewalt. Das besagte, dass der so Privilegierte von öffentlichen Abgaben und Leistungen befreit war, aber vor allem, dass sein Grundbesitz nicht mehr der prinzipiell in diesem Gebiet herrschenden Gerichtsgewalt unterlag. In seinem Territorium nahm der Inhaber der Immunität die Gerichtsbarkeit selbst oder, im Falle von Klöstern, durch einen selbst gewählten Vogt wahr. Der Königsschutz sollte das betreffende Territorium ebenfalls vor übergriffen Dritter bewahren und ermöglichte dem Grundbesitzer den Zugang zur königlichen Gerichtsbarkeit. Zur Zeit Ludwigs des Frommen waren die meisten größeren Kirchen bereits im Besitz von Immunitätsprivilegien. De facto bedeutete die Immunität für den Privilegierten eine Befreiung von der Herrschaft des regionalen Adels und gleichzeitig eine engere Bindung an das Königtum.
Ludwig der Fromme bestätigte dem Salzburger Erzbistum also fundamentale Rechte, die von weitreichender Bedeutung für die Stellung der Erzbischöfe sein sollten. Denn die Immunität bildete einen wichtigen Faktor bei der Ausbildung der mittelalterlichen Landeshoheit. Im 12. und 13. Jahrhundert gelang es den Erzbischöfen, die Kirchenvogteien zurückzudrängen, sich an die Stelle von Grafengeschlechtern zu setzen und deren Rechte zu erwerben. Die von Karl dem Großen verliehene Immunität bildete somit einen Grundstein für die Landesherrschaft der Salzburger Erzbischöfe. Bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 war der Erzbischof gleichzeitig Landesfürst in seinem Territorium. 1816, genau 1000 Jahre nach der Ausstellung der Urkunde Ludwigs des Frommen, kam Salzburg endgültig zu Österreich.
– Kathrin Kininger –
Immunitätsverleihung Kaiser Ludwigs des Frommen an das Erzbistum Salzburg
Dokument 01
5. Februar 816, Aachen. Im unteren Drittel der Immunitätsverleihung ist das Monogramm Kaiser Ludwigs des Frommen zu sehen. Das Herrschermonogramm ersetzt die eigenhändige Unterschrift des Urkundenausstellers.
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AT-OeStA/HHStA UR AUR 816 II 5
Immunitätsverleihung Kaiser Ludwigs des Frommen an das Erzbistum Salzburg
Dokument 01
(C.). x In nomine Domini Dei et Salvatoris nostri Iesu Christi. Hludouuicus divina ordinante providentia imperator augustus. Cum petitionibus sacerdotum iustis et rationabilibus divini cultus amore favemus superna nos x / gratia muniri non diffidimus. Noverit interea sagacitas seu utilitas omnium fidelium nostrorum tam praesentium quam et futurorum, quia vir venerabilis Arno, Iuuenensis ecclesiae archiepiscopus nec [non Salz]burgensium, detulit nobis auctoritates inmunitatum domni et genitoris nostri Karoli, bonae me/moriae piissimi augusti, in qua erat insertum, qualiter ipsam sedem, quae est in honore sancti Petri, pri[ncipis a]postolorum, ubi etiam sanctus Hruotbertus corpore requiescit non sol [um cu]m cellulis sibi subiectis et re vel hominibus ad se pertinentibus vel aspicientibus sub suo nomine vel defensione consistere fecerat, verum / etiam et quicquid ex liberalitate regum reginarumque, ducum vel ceterorum fidelium sanctae Dei ecclesiae eidem ec[c]lesiae adtributum est, perpetuo in ditione eius consisteret. S[ed] pro rei firmitate postulavit nobis praefatus venerabilis Arno archiepiscopus, ut paternum morem sequentes huiuscemodi / nostrae inmunitatis atque confirmationis praeceptum ob amorem Dei et reverantiam ipsius sancti loci circa ipsam ecclesiam fieri censeremus. Cuius petitioni libenter adsensum praebuimus et hoc nostrae auctoritatis praeceptum erga ipsam ecclesiam inmunitatis atque tuitionis gratia / fieri decrevimus, per quod prae[cipimu]s atque iubemus, ut sicut [genitoris] nostri praeceptum co[ntinebat, ita deincep]s inviolabilit[er conservetur, ut vide]licet ea quae eidem ecclesiae retroactis temporibus conlata fuerunt et quae modo a fidelibus iuste conferuntur, vel quae / [deinceps legaliter conlata fuerint, per hanc firmitatem nostram absque alicuius contrarietate possideat, et nullus iudex publicus vel quilibet ex iu]diciaria potestate in ecclesias aut loca vel agros seu reliquas possessiones memorate ecclesiae, quas moderno tempore in quibuslibet pagis / [vel territoriis infra ditionem imperii nostri iuste et legaliter possidet, vel quae deinceps in iure ipsius sancti loci voluerit divina pietas augeri ad causas audiendas vel fred]a aut tributa exi[genda au]t mansi [ones vel paratas faciendas aut fideiiussores to]llendos aut homines ipsius eccl[esiae tam ingenuos / quam et servos super terram ipsius conmanentes iniuste distringendos, nec ullas redibitiones aut inlicitas occasiones requirendas nostris aut futuris temporibus ingre]di aud[eat, vel ea quae supra memorata sunt, penitus exigere praesumat, sed liceat memorato praesuli suisque successoribus / res] praedictae ecclesiae [sub inmunitatis nostrae defensione quiet]o ordine possidere, et nostro fideliter p[arere praecepto atque pro incolumi]tate nost[ra] coniugis ac prolis seu etiam [totius imperii a Deo nobis concessi atque conservandi iu]giter domini miseri- [cordiam exorare delectet, et] / quicquid exinde fiscus sperare poterit, totum nos pro aeterna remuneratione eidem ecclesiae concedimus, ut in alimonia pauperum et stipendia clericorum ibidem Deo famulantium perpet[uis temporibus proficiat in] augmentum. Et ut haec auctoritas nostris / futurisque temporibus domino protegente valeat inconvulsa manere, manu propria subter firmavimus et anuli nostri inpraessione signari iussimus. / x Signum (M.) Hludouuici serenissimi imperatoris, x (C.) x Durandus diaconus ad vicem Helisachar recognovi et subscripsi, x (NT.) (SD.) 7
Immunitätsverleihung Kaiser Ludwigs des Frommen an das Erzbistum Salzburg
Dokument 01
... hoc nostrae auctoritatis praeceptum erga ipsam ecclesiam inmunitatis atque tuitionis gratia / fieri decrevimus, per quod prae[cipimu]s atque iubemus, ut sicut [genitoris] nostri praeceptum co[ntinebat, ita deincep]s inviolabilit[er conservetur ...
... haben wir dessen [ Erzbischof Arns] Bitte bereitwillig gewährt und kraft unserer Autorität mit dieser Urkunde bestimmt, dieser Kirche die Gunst der Immunität und des Königsschutzes zu verleihen ...