Revolution und Konterrevolution

Dokument 43

Nationalliberales Gedankengut, der Ruf nach Freiheit, Demokratie und nationaler Selbstbestimmung greift ab Anfang 1848 in Mitteleuropa wie ein Lauffeuer um sich. Bürger, Studenten und Arbeiterschaft revoltieren, die ära Metternich endet; Ende Oktober wird in Wien die Revolution blutig niedergeschlagen.

Am Wiener Kongress (1814/15) war als Reaktion auf die dramatischen Erschütterungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege eine umfassende europäische Friedensordnung geschaffen worden [Die Erfindung Europas]. Bedroht durch die nationalliberalen Bewegungen des deutschen und des italienischen Bürgertums, des polnischen Adels und der magyarischen Gentry, stellte sich österreich im Bündnis der Heiligen Allianz mit Preußen und Russland in der Folge an die Spitze der europäischen Re- aktion. Reichskanzler Fürst Klemens Metternich und sein Ratgeber Friedrich Gentz gingen mehr und mehr von „Häresien“ unterschiedlicher „Sekten“ aus, die das gesamte von ihnen geschaffene europäische System zu unterminieren drohten. Die Allianz bekämpfte in drakonischer Weise die revolutionären Bewegungen in Italien, Spanien und Griechenland. Sie verfolgte die liberal gesinnten Dichter des Jungen Deutschland und die Vertreter der jungen nationalen Intelligenz und ließ ihre Werke verbieten. Das Junge Europa seinerseits – unter Führung Giuseppe Mazzinis – setzte sich die Errichtung eines freien Deutschland, Italien, Polen und Ungarn auf den Trümmern österreichs zum Ziel.

Die in der rebellischen und aufrührerischen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten Forderungen und Perspektiven kulminieren im gesamteuropäischen Revolutionsjahr von 1848: Beinahe zeitgleich brach die Revolution in Frankreich, den Deutschen Staaten, dem Habsburgerreich aus, spontan und in allgemeiner Erhebung. Sie zeitigte schwerwiegende Auswirkungen auf Spanien, Dänemark, Rumänien, ihr Nachhall war in Griechenland ebenso spürbar wie in England und Irland. Von Frankreich bis an die Grenzen des zaristischen Russland, von Berlin über Wien bis Palermo wurden überall dieselben Forderungen erhoben: konstitutionelle, parlamentarische Staatsstrukturen, Gewährung der bürgerlichen Freiheitsrechte, Aufhebung der bäuerlichen Untertänigkeit, nationale Selbstbestimmung, Demokratie und soziale Sicherheit. Das Jahr 1848 bedeutete das Ende des Feudalismus und brachte das Bürgertum an die Macht. Es gab erste Ansätze einer sozialen Gesetzgebung und lange überfälliger Strafrechtsreformen sowie Rede-, Versammlungs- und Medienfreiheit. Republik, Demokratie und Verfassungsstaat sind direktes Erbe dieses Jahres. Und doch zeigten sich in dem „Völkerfrühling“ der Revolution bereits auch die ersten Momente jenes nationalen Wahns, der Europa im 20. Jahrhundert so grauenvoll verwüsten sollte.

Als am 13. März 1848, anlässlich einer Sitzung der niederösterreichischen Landstände, von Studenten und Bürgern die Forderung nach einer Verfassung und den bürgerlichen Freiheitsrechten aufgestellt wird, erheben sich die Wiener Vorstädte in Maschinensturm und wildem Tumult; dabei zeigt die revoltierende Arbeiterschaft aus den frühindustriellen Produktionsstätten noch im archaischen Aufruhr ein bemerkenswertes Maß an „moralischer ökonomie“: Mitten im wüsten Maschinen- und Fabrikensturm werden Besitz und persönliche Sicherheit von Fabrikanten, die ihre Belegschaft „anständig“ behandelt hatten, durch die Aufständischen garantiert. Schließlich ziehen die mit Prügeln, Latten und Steinen bewaffneten, rebellierenden Massen über die Mariahilfer Straße gegen die Innenstadt, auf dem Glacis werden die Gasleitungsrohre aufgerissen, und das ausströmende Gas wird entzündet. Ein furchtbarer Feuerwall um Wien begleitet das Ende der Herrschaft Metternichs.

Im weiteren Verlauf findet die Revolution schnell ihre soziale und – mit den Erhebungen Ungarns und Italiens – ihre nationale Differenzierung. Die vom Minister des Inneren Pillersdorf Ende April verkündete Verfassung provoziert im Mai den erneuten Aufstand der Demokraten, die Gewalt zur Festsetzung eines neuen Staatsgrundgesetzes muss einem aufgrund des allgemeinen Wahlrechts gewählten Konstituierenden Reichstag übertragen werden. In Wien regiert der revolutionäre Sicherheitsausschuss, Kaiser und Hof fliehen nach Innsbruck, in Reichweite der in Italien operierenden Truppen Radetzkys. Zugleich treten die inneren Widersprüche der Revolution immer deutlicher zutage; in der dritten Augustwoche kommt es erstmals zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und städtischem Proletariat. In diesen Tagen der stärksten sozialen Unruhe in der Hauptstadt beschließt der am 22. Juli erstmals zusammengetretene Reichstag das Gesetz über die Grundentlastung: die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse werden beseitigt, die Bauern zumindest formal zu freien Eigentümern ihres Landes.

Der Hof hingegen verfolgt eine riskante, zynische Strategie, die den aufkeimenden Nationalismus im Vielvölkerreich für seine Zwecke instrumentalisiert: Er hält mithilfe der ruthenischen Bauern die Polen nieder, verbündet sich – nachdem Fürst Windisch- grätz deren radikalen Flügel ausgeschaltet hat – mit den Tschechen gegen die revolutionären Deutschen, schürt die bewaffnete Erhebung der Rumänen und insbesondere der Kroaten gegen die Magyaren. Am 5. Oktober erklärt ein in der Wiener Zeitung veröffentlichter kaiserlicher Erlass den kroatischen Banus Jelačić zum Statthalter und Oberkommandierenden der kaiserlichen Truppen in Ungarn, zugleich wird der ungarische Reichsrat aufgelöst. Dagegen erheben sich die Arbeiterschaft, die Akademische Legion und die Nationalgarde Wiens. Der Abmarsch eines Bataillons Richter-Grenadiere nach Ungarn wird unterbunden, Kriegsminister Graf Latour gelyncht und der zwischenzeitlich zurückgekehrte Hof neuerlich zur Flucht gezwungen, diesmal ins mährische Olmütz.

Von hier aus reorganisiert der Hof, umgeben von den slawischen Abgeordneten der Konstituante, die Kräfte der Konterrevolution. Unter dem Kommando von Windischgrätz wird eine Armee um Wien zusammengezogen, die sich mit den Truppen Jelačić's vereinigt und über 60.000 Mann zählt; ihr stehen 15.000 desorganisierte, schlecht ausgerüstete, militärisch kaum ausgebildete Verteidiger gegenüber, beinahe ausschließlich Arbeiter und Studenten. Am 24. Oktober beginnt ein überaus zäher und verlustreicher Kampf um die Reichshauptstadt, am Monatsende ist er entschieden. Fürst Windischgrätz verhängt den Ausnahmezustand über die Stadt, proklamiert das Standrecht, führt die Zensur wieder ein. Wien wird von einer Verhaftungswelle erfasst; von 72 Todesurteilen werden 25 vollstreckt – darunter jenes gegen den Abgesandten der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt, Robert Blum, was besonders hohe Symbolkraft hat. Die Revolution war in ihrem Zentrum Wien niedergeschlagen worden, und dem Fall Wiens folgte die gewaltsame Neuordnung der ungarischen Verhältnisse [NeoabsolutismusDer Mann ohne Eigenschaften und Die evasive Kaiserin].

– Wolfgang Maderthaner –

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Erstürmung der Mariahilfer Linie

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Die Erstürmung der Mariahilfer Linie am 13. März 1848.

Zerstörung der Mariahilfer Linie

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Die Zerstörung der Mariahilfer Linie am 13. März 1848.

Erster Cavallerieangriff

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13. März, 1848, Wien. Erster Angriff der Cavallerie vor dem bürgerlichen Zeughaus.

Erstürmung der großen Barrikade

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Erstürmung der großen Barrikade nahe der Johannes-Kirche in der Jägerzeile (heute Praterstraße). Die Verteidiger des revolutionären Wien gegen die kaiserlichen Truppen von Fürst Windischgrätz und das Aufgebot des kroatischen Bans Jelačić standen unter dem Kommando von Józef Bem. März 1848, Lithographie.

Todesurteil Messenhauser

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11. November 1848. Das Todesurteil über Wenzel Cäsar Messenhauser, Kommandant der Nationalgarden in den entscheidenden Oktobertagen des Jahres 1848 in Wien, wurde „vollzogen durch Pulver und Blei in gesetzlicher Vorschrift am 16. November 1848 um halb 9 Uhr früh“.