"Die Suche nach dem Österreichischen führt uns unweigerlich ins Archiv“
Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs
Drei Tage im Februar
Dokument 79
Der Morgen des 12. Februar 1934 beginnt mit unkoordinierten, erbitterten Kämpfen zwischen den verfeindeten, durch Schutzbund und Heimwehr militarisierten politischen Lagern: Drei Tage später hinterlassen hunderte Tote in Wien und anderen Industriestädten, standrechtliche Exekutionen und der Artilleriebeschuss der Wiener Gemeindebauten tiefe Wunden.
Ab 24. Jänner 1934 wurde über Auftrag des Innenministers, Vizekanzlers und Führers der Wiener Heimwehren, Major a.D. Emil Fey, mit systematischen Hausdurchsuchungen in sozialdemokratischen Parteiheimen, öffentlichen Amtsgebäuden und Privatwohnungen begonnen. Im Gefolge der sogenannten „Waffensuchen“ kam es zu umfangreichen Verhaftungen von Funktionären des Republikanischen Schutzbundes, die de facto dessen gesamten Technischen Ausschuss betrafen, so unter anderen den militärischen Leiter, Major a.D. Alexander Eifler, und den Kommandanten der Wiener Gemeindewache, Hauptmann a.D. Rudolf Löw. Bis 10. Februar waren alle Bezirks- und Kreisführer des Wiener Schutzbundes, insgesamt an die 200 Personen, in Haft. In einem Kommuniqué vom 11. Februar sprach Fey von einem „bewiesenen Komplott marxistisch-bolschewistischer Verbrecher“ und kündigte noch am selben Tag an, man werde „morgen an die Arbeit gehen und ganze Arbeit leisten“.
Am 9. Februar war der oberösterreichischen Schutzbundleitung unter Richard Bernaschek ein Geheimerlass des Landessicherheitsdirektors bekannt geworden, der eine Erfassung aller sozialdemokratischen Vertrauenspersonen und deren Internierung in Anhaltelagern vorsah. Bernaschek ordnete am Sonntag, dem 11. Februar, als stündlich mit der Verhaftung des Landesparteivorstands gerechnet werden musste, die Bewaffnung seiner Leute an und teilte dem Parteivorstand in Wien mit, dass er auf jede weitere Provokation mit Waffengewalt reagieren werde. Dieser sandte umgehend ein Telegramm: „Tantes Zustand fast hoffnungslos. Verschiebe deshalb Operation bis nach Ärztekonsilium Montag.“ Die ehemals so mächtige Partei – die nach den Ergebnissen der letzten Wahlen 90 Prozent der Arbeiterschaft, 60 Prozent der Bevölkerung Wiens, die überwiegende Mehrheit der städtischen und industriellen Bevölkerung Österreichs überhaupt repräsentierte, die in ihren Reihen 600.000 Mitglieder organisierte – wollte den Bürgerkrieg nur riskieren, wenn er unabwendbar und unvermeidlich geworden war; durch das Angebot immer weitreichenderer, schließlich an Selbstaufgabe grenzender Konzessionen hatte man versucht, eine drohende Katastrophe zu verhindern.
Als in den Morgenstunden des 12. Februar Polizeieinheiten eine Waffensuche im Hotel Schiff durchführen wollten, entwickelte sich schnell ein heftiger Kampf, der auf Industriegebiete in Oberösterreich, Steiermark und Tirol übersprang. Die Revolte des Richard Bernaschek war der Auftakt für einen Verzweiflungsakt der Schutzbündler, den sie, noch ehe er begann, bereits verloren hatten: Es war ein Akt von überwiegend symbolischer Bedeutung, ein Ringen um Selbstbehauptung und Selbstachtung, eine Initiative gegen den expliziten Willen des Parteivorstandes – ein Kampf nicht zuletzt gegen den permanenten Verfassungsbruch und die Abschaffung des Rechtsstaates, gegen die schleichende, zuletzt offen betriebene Illegalisierung der Sozialdemokratie. In Wien tagte der Rest des sozialdemokratischen Parteivorstands in einer Privatwohnung in Gumpendorf und beschloss nach äußerst kontrovers verlaufener Sitzung mit einer Stimme Mehrheit die Ausrufung des Generalstreiks und die Mobilisierung des Schutzbundes. Um 11.46 Uhr blieben die Wiener Straßenbahnzüge stehen, die Arbeiter der Elektrizitätswerke hatten das Zeichen zum Generalstreik gegeben. In ganz Wien erloschen die elektrischen Lampen.
Der im Heeresministerium tagende Ministerrat beschloss die sofortige Auflösung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die Auflösung aller sozialdemokratischen Vereine und der Freien Gewerkschaften, die Beschlagnahme ihrer Vermögen und die Sperre der Arbeiterbank; die Konsumvereine wurden gleichgeschaltet. Aufgelöst wurden durch Ministerratsbeschluss auch der Landtag und der Gemeinderat Wiens, gleichzeitig mit der Enthebung des Bürgermeisters und des Stadtsenats sowie der Einsetzung eines Bundeskommissärs. Hauptträger der Kämpfe sollten dann die Einheiten der Polizei und des Freiwilligen Schutzkorps sein – wobei letztere praktisch ident mit den christlichsozialen Heimwehren waren. Die Entscheidung in den Kampfhandlungen jedoch führte der Einsatz des Bundesheeres herbei, das von Bundeskanzler Dollfuß in seiner Eigenschaft als Heeresminister befehligt wurde. Es setzte schwere Artillerie und Haubitzen ein und nahm damit Gemeindewohnanlagen, in denen sich Schutzbündler verschanzt hatten, unter Feuer – so etwa den Karl-Marx-Hof durch eine motorisierte Gebirgskanonenbatterie von der Hohen Warte aus.
Nur in wenigen Fällen gelang es den Schutzbündlern, in die Offensive zu gehen, so in Linz, Steyr, Bruck/Mur sowie in vereinzelten Aktionen der Margaretener und Ottakringer Alarmkompanien. Meist beschränkten sie sich von Anfang an darauf, sich in den Gemeindebauten zu verbarrikadieren und diese mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Auseinandersetzungen um Simmering, das Ottakringer Arbeiterheim, den Reumann-Hof, den Karl-Marx-Hof und vor allem um Floridsdorf stellen nach Ansicht von Militärhistorikern ein zeitgenössisches Optimum an Kriegskunst für den modernen Straßenkampf dar. Erst in einem konzentrischen Angriff, der durch den Ausfall des niederösterreichischen und des Brigittenauer Schutzbundes möglich geworden war, konnte die dreitägige Schlacht um Floridsdorf zugunsten des Bundesheeres entschieden werden. Der ganze Bezirk habe, so der offizielle Polizeibericht, einer Hölle geglichen.
Um 14 Uhr des 12. Februar 1934 verkündete das Radio das Standrecht und dass die Bundesregierung unter Bereitstellung des gesamten Machtapparats alle Maßnahmen getroffen hätte, um die „planmäßigen Anschläge bolschewikischer Elemente im Keim zu ersticken“. In den Abendstunden dieses Tages war der Generalstreik bereits zusammengebrochen; er wäre in Zeiten, in denen mehr als ein Drittel der ganzen Arbeiterschaft ohne Arbeit war, auch unter günstigeren politischen Rahmenbedingungen kaum durchzuhalten gewesen. Am Samstag, dem 17. Februar, meldete die Neue Freie Presse „vollständige Ruhe“. Keine fünf Tage später, als Standrecht und Todesstrafe aufgehoben wurden, waren 140 Schutzbündler abgeurteilt und von einigen Dutzenden Todesurteilen acht vollstreckt worden.
– Wolfgang Maderthaner –
Opfer der "Februarkämpfe 1934"
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Zwei Tote vor dem Schlingerhof. Februar 1934, Wien.
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VGA, Fotoarchiv der Arbeiter-Zeitung, E3-0271
Arbeiterheim in Floridsdorf, Am Spitz
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Unmittelbar nach den Bürgerkriegsereignissen verbreitete das Regime massenhaft Ansichtskarten mit Kampfmotiven. Februar 1934, Wien.
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VGA, Fotoarchiv der Arbeiter-Zeitung, E25-0249
Situationsbericht 12. Februar 1934
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Vizekanzler und Innenminister Emil Fey vor dem Ministerrat. Wien
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AT-OeStA/AdR MRang MR 1. Rep. MRP 922 (1934.02.12)