"Die Suche nach dem Österreichischen führt uns unweigerlich ins Archiv“
Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs
Am Tabor
Dokument 09
200 Jahre vor dem Flächenbrand des Dreißigjährigen Kriegs zeigt sich die Sprengkraft reformatorischer Bewegungen in den böhmischen Hussitenkriegen (1419–1436). Ein grausames Gemetzel zwischen fundamentalistischen Taboriten und Söldnertruppen des aristokratischen Establishments nimmt seinen Lauf.
Der Schicksalsraum für Österreich ist, wie Friedrich Heer so treffend festgestellt hat, Böhmen – das ökonomisch und kulturell höchststehende Land eines sich formierenden habsburgischen Reiches. Früher als anderswo vollzieht sich hier jener folgenschwere und geschichtsmächtige Umbruch von der Naturalwirtschaft zur Warenproduktion und damit die Revolutionierung eines gesamten Weltbildes. Die materielle Basis dieses Prozesses liefern der Silberbergbau (vor allem in Kuttenberg) und die Goldgewinnung (u.a. an der Moldau und an der Lužnic); seine soziale Basis sind die ins Land geholten deutschen Zuwanderer, die bald eine hervorragende, wenn nicht dominante Stellung im gesellschaftlichen Gefüge einnehmen. Sie sind wesentlich für die Prosperität von früher Industrie, von Handel und Wissenschaften verantwortlich, sie beherrschen die Universität und den hohen wie mittleren Klerus. Zugleich ist Böhmen das Land der wohl mächtigsten Stände, eines eingesessenen, selbstbewussten und artikulationsfähigen tschechischen Adels, der sich der Umwertung aller tradierten Werte im Gefolge des ökonomischen Transformationsprozesses bemächtigt, um seine Position zu behaupten und auszubauen. Dies äußert sich zunächst im religiösen Dissens und findet dank einer stark antideutschen, „nationaltschechischen“ Dimension gewaltige soziale Resonanz. In der Hussiten-Bewegung empört sich das tschechische Volk gegen die allgegenwärtige deutsche Hegemonie.
Jan Hus wirkt im „Goldenen Prag“ der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, ist Professor an der Universität, später Pfarrer an der Bethlehems-Kapelle, Beichtvater von Königin Sophie. Er gilt, vor allem durch seine Bibelübertragung, als der Schöpfer der tschechischen Hochsprache und tritt leidenschaftlich gegen Ablassmissbrauch und Kirchenhierarchie auf; im römischen Papst vermag er letztlich nur mehr den Antichrist zu erkennen. Gegen die Zusage freien Geleits wird er vor das Konstanzer Einigungskonzil geladen, das ihn – nach langer Kerkerhaft, Folter und nicht erfolgtem Widerruf – im Juli 1415 verdammt und den Flammen übergibt. Ein Fanal im wahrsten Sinn des Wortes. Böhmen erhebt sich; in Prag rebelliert das „niedere Volk“, vertreibt Weltgeistliche und Mönche, plündert Kirchen und Klöster, während der zur Gänze zur hussitischen Ketzerei übergetretene tschechische Adel mit der systematischen Enteignung von Kirchengütern beginnt. Sein politisches Ideal sieht er in der Errichtung einer aristokratischen Republik, an deren Spitze ein Schattenkönig stehen soll; in der hussitischen Revolution stützt er sich bewusst auf das tschechische Volk, das er erfolgreich gegen die deutsche Oberschicht mobilisiert.
Die innerösterreichischen Lande bleiben nicht verschont. Ab dem Sommer 1419, nachdem die von Johann Žižka geführten städtischen Parias Prag erobert hatten, kommt es zu schweren Einfällen nach Ober- und Niederösterreich, welche die hussitischen Scharen bis an die Donau bei Linz und Stockerau führen. Städte, Dörfer, Stifte (u.a. Altenburg) werden zerstört und niedergebrannt. In der Bulle Omnium Plasmatoris Domini vom 1. März 1420 ruft Papst Martin V. die gesamte Christenheit zum Kreuzzug gegen das bedrohliche Aufbegehren der Tschechen auf. Im folgenden Jahrzehnt werden ganze fünf Feldzüge gegen Böhmen geführt, die allesamt mit vernichtenden und blamablen Niederlagen der aufgebotenen Söldnerheere enden. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit haftet insbesondere dem radikalen Flügel der hussitischen Formationen an.
Im Gefolge der Konfiskationen und Plünderungen der Kirchengüter, die überkommene, scheinbar unumstößliche Eigentumsordnungen massiv erschüttert hatten, war es zu bedeutenden sozialen Differenzierungsprozessen gekommen. Neben die utraquistische Tendenz der Aristokratie und des Prager städtischen Patriziats war unmittelbar eine millenaristische* getreten, die eine radikale Utopie sozialer Gleichheit und eine gesellschaftliche Ordnung jenseits von Stand und Hierarchie verfolgte. Sie berief sich, wie alle spätmittelalterliche Ketzerei, auf eine Rückkehr zum Urchristentum und auf eine Wiederherstellung der reinen Lehre, ging in wesentlichen Punkten aber weit darüber hinaus. Ihr Zentrum fand sie in der Stadt Tabor an der Lužnic, die wie ein Magnet Visionäre, Utopisten und Endzeitpropheten aller Schattierungen anzuziehen begann. Die Taboriten erklärten den Unterschied von Mein und Dein, mithin das Privateigentum für obsolet und dessen Besitz zur Todsünde. Außer Gott könne es keinen Monarchen geben, demgemäß müsse die Regierung dem Volk überantwortet werden. Alle Herren, Edle und Ritter seien niederzumachen und „wie Unkraut zu vertilgen“. Alle Fron, alle Hörigkeit, alle Zwangsabgaben sowie sämtliche Fürsten-, Landes- und Stadtrechte seien für immer aufgehoben. Die Priester seien von der Gemeinde und aus deren Reihen zu wählen. Die Ehe galt als abgeschafft, an ihre Stelle trat eine Art freie Sexualität.
Gleichwohl trägt die „kommunistische“ Sekte der Taboriten massiv puritanische, letzt- lich wohl tribalistisch-bellizistische Züge. Die gesamte innere Organisation ihres Gemeinwesens, das aller bestehenden Gesellschaft den Krieg erklärte, war an den Bedürfnissen und Vorgaben permanenter Kriegsführung ausgerichtet. Mit Todesverachtung und einem Fanatismus sondergleichen, Frauen und Kinder eingeschlossen, warfen sie sich ins Kriegs- geschehen. Tatsächlich formierten sie ein auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhendes stehendes Heer – die Hauptursache für ihre eklatante militärische überlegenheit.
Doch währt der Traum eines selbstbestimmten, autonomen, gottgefälligen Zusammenwirkens der Freien und Gleichen nicht lange. Aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen, im „ewigen“ Kampf um das eigene Fortbestehen, nimmt die militärische Dominanz der taboritischen Sekte zunehmend terroristische Formen an. Dem beinahe schon zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen Adel gelingt es hingegen, eine namhafte, auch zahlenmäßig relevante Opposition zu organisieren und am 30. Mai 1434 in Lipan, einem Dorf in der Nähe von Böhmisch Brod, eine Entscheidungsschlacht zu erzwingen. Die durch Fraktionskämpfe bereits stark geschwächten Taboriten unterliegen, nicht zuletzt auch, wie zeitgenössische Chroniken berichten, durch Verrat des Befehlshabers ihrer Reiterei. Die Rache der Sieger ist furchtbar: Von 18.000 taboritischen Kämpfern werden 13.000 niedergemetzelt. Die hohe Aristokratie erringt die beinahe unbeschränkte Herrschaft über das Land.
* Die Utraquisten (tschechisch: Utrakvisté) oder Calixtiner – eine sozial heterogene, nach ihrem Leitsymbol, dem Kelch (und der daran gebundenen Forderung nach Kommunionsempfang in beiderlei Gestalt), benannte Gruppierung – repräsentierten den reformistisch-gemäßigten Flügel des böhmischen Hussitentums. Ihnen standen die sozialrevolutionären, millenaristisch/chiliastisch orientierten Taboriten gegenüber, welche die Errichtung eines tausendjährigen Reiches der Gleichen vor Gott im Hier und Jetzt anstrebten, nötigenfalls mit den Mitteln einer religiös-sozialen Diktatur.
– Wolfgang Maderthaner –
*Die Utraquisten (tschechisch: Utrakvisté) oder Calixtiner – eine sozial heterogene, nach ihrem Leitsymbol, dem Kelch (und der daran gebundenen Forderung nach Kommunionsempfang in beiderlei Gestalt), benannte Gruppierung – repräsentierten den reformistisch-gemäßigten Flügel des böhmischen Hussitentums. Ihnen standen die sozialrevolutionären, millenaristisch/chiliastisch orientierten Taboriten gegenüber, welche die Errichtung eines tausendjährigen Reiches der Gleichen vor Gott im Hier und Jetzt anstrebten, nötigenfalls mit den Mitteln einer religiös-sozialen Diktatur.
Auszug aus der Hussitenchronik des Stifts Altenburg
Dokument 09
Die so genannte „Hussitenchronik“, ein um 1430 verfasster Bericht beschreibt die Ereignisse und die damit einhergehenden Verwüstungen der Jahre 1427 und 1430.
Dokument 09
Urkunde Altenburg PA 2018;© Stiftsarchiv Altenburg
Auszug aus der Hussitenchronik des Stifts Altenburg
Dokument 09
„Zuerst plünderten sie (die Hussiten) das Kloster und verkauften im Markte Pöllau (die Beute) auf acht Vierspännern.
Item schlugen sie den Herrn Abt öfter in die Flucht, und raubten ihm die Seinen samt den Nutztieren auf dem Land und zu Hause.
Item, nachdem die Hussiten das Kloster Zwettl geplündert hatten, machten sie sich zu Fuß zu uns auf, und verheerten mit Feuer und Schwert unser ganzes Kloster und ließen es wie ein Taubenhaus zurück. Nur manches häusliche Werkzeug, das nicht eingeäschert wurde, blieb übrig.
Item warfen sie das mit großen Kosten angefertigte musikalische Instrument, das wir in der Muttersprache Orgel nennen, vom höchsten Ort im Innern der Kirche auf den mit Steinen gepflasterten Boden hinunter, sodaß es durch einen so heftigen Fall in mehr als tausend auch kleinste Trümmer zersprang; dessen von Zinn und Blei gegossene Rohrpfeifenwerk wurde unbrauchbar und zertrümmert auf den Feldern und in den Dörfern verstreut gefunden.
Item nahmen sie die mechanische Uhr, die einen sehr großen Wert hatte, mit sich.
Item nahmen sie, was am frevelhaftesten und gegen jede Vernunft steht, zwei Ziborien für den allerheiligsten Leib des Herrn weg, nachdem sie das göttliche und mystische Sakrament auf die Erde geworfen hatten.
Item zertrümmerten sie mit Steinen, Lanzen, Füßen und Feuer die Kirchenfenster.
Item verbrannten und zerschmolzen sie die große Glocke, die kleineren aber raubten sie.
Item durchstießen die hussitischen Feinde, damit sie ihre treulose Schlechtigkeit und ihr unmenschliches Wüten befriedigten, auch die Statuen und Bildnisse der Heiligen mit Speeren und Schwertern.
Oh, welch herrliche Tat! Oh fürwahr, welch würdiger Triumph!
Item entleerten sie sechs große Fässer besten Weins und ließen sich Tag und Nacht mit Wein vollaufen, und nachdem sie nun die Becher ausgeleert hatten und ihrem Rausch hingegeben waren, zerbrachen sie alles Geschirr.
Item brauchten sie das auf, was immer zum täglichen Verzehr vorbereitet war, und verbrannten die Überbleibsel.
Item trieben sie 42 Rinder fort.
Item stürzten nach einem Brand viele durch Regen aufgeweichte Mauern ein. Andere drohten mit dem Einsturz.
Item kamen einige von den Brüdern zurück, nachdem das Kloster durch Feuer und Schwert zugrunde gerichtet worden war und nur sehr geringe Spuren vom vorigen Wohnsitz übrig geblieben waren. Diese aber sahen, daß alles desolat und niedergerissen und zerschlagen war: und sie konnten an diesem öden Ort den abscheulichen Gestank nicht ertragen und sie wählten nicht lange danach eine Höhle und verborgene Schlupfwinkel auf einem nahen Berg. (Dieser wird noch immer der Horasberg genannt, weil dort die Brüder die Tagzeiten gebetet haben.) Dort begnügten sie sich einige Zeit mit kärglicher Kost, einfachem Wasser, Waldkräutern und schwarzem Brot. Sie waren aus Furcht vor den Hussiten bis am Boden zerstört.
Item durchzogen nachher diese gottlosen Ketzer je nach günstiger zeitlicher Gelegenheit jährlich wieder und wieder Österreich und stellten beim Kloster ein Lager auf und verursachten viele und große Schäden. Wieviele Bauern brachten sie an den Bettelstab, wieviele andere durch das Schwert ums Leben, wieviele schleppten sie gebunden in Fesseln mit sich fort und ließen sie später ebenfalls dahinsterben! So wurde der Gottesdienst und so die jährlichen Einkünfte geschmälert, daß man kaum den dritten Teil des vorher so hinlänglichen Einkommens erhoffen konnte.
Item blieb fast jegliche Sorge für die Landwirtschaft außer acht, weil jedes Jahr das Kloster seiner Ackergäule beraubt wurde, ebenso aus Furcht vor den benachbarten Häretikern in Thaya, in Pullitz und Fronsberg, die fast jeden Tag bei uns gesehen wurden.
Item nahmen sie im Jahr 1430 sechsunddreißig Rinder, sechs Pferde und drei Knechte mit und führten sie mit sich nach Thaya ab.
Item kann ich mich nicht ohne (ein häufiges Vergießen von) Tränen erinnern, daß das Oratorium, das schon in brauchbaren Zustand gebracht worden war und in welchem die Gebete zum Lobe Gottes gesungen wurden, wieder profaniert wurde, indem es für Pferde und Rinder als Stall verwendet wurde.
Item verbrannten sie das Dormitorium, wo die Hausleute nachts ihre von den täglichen Arbeiten geschwächten Kräfte erholten, und benutzten alle Werkstätten zweckwidrig.
Item, als dann der Regen kam, wurden die Brüder durch das Eindringen von Wasser außerordentlich geplagt und belästigt. Denn die vom Regen durchnäßten Gewölbe ließen die Brüder für zwei oder drei Tage niemals bei Tisch in Ruhe essen, sogar nicht einmal die Altäre waren von dieser Widrigkeit befreit.
ltem wurden die Weingärten aus denselben Gründen unbewirtschaftet zurückgelassen und als sie wieder ihre Felder und Weingärten bebauen konnten, wurden sie oft und öfter von den Hussiten zu Abgaben gezwungen.
Item suchte ich an abgelegenen Schleichwegen nach Brüdern auf der Flucht.
Item wurden die Brüder oft gezwungen zu flüchten, auch während des göttlichen Offiziums und der Heiligen Handlungen, was unwürdig ist.
Item, wenn das Kloster öfter in befreundeten Burgen, Städten und Dörfern Korn, Wein und Lebensmittel unterbringen wollte und versuchte, und es dem Hinterhalt der Feinde entkommen war, fiel es in die Hände von „Freunden", die eher Feinde als Freunde waren.
Item verbrannten die oben genannten Häretiker unseren Hof in Zöbing bis auf die Fundamente.
Item verkauften wir wegen fremder Schulden 41 Pfund Renten von den besten und sichersten Einkünften unseres Klosters jenseits der Donau.
Diese Verwüstungen und diese Bedrängnisse - um sie zu erzählen wäre kein Sommertag ausreichend - brachten unser Kloster in so große Armut, daß sicherlich der größere Teil der Brüder, die hier Professen waren, nicht ordentlich und bescheiden leben konnte, und wenn nicht die Klugheit, der Rat und die Frömmigkeit von „Magnaten" dem KIoster zu Hilfe gekommen wäre, hätte das Kloster niemals seine frühere Kraft aufbringen können; und was ich beinahe übergangen hätte: das Kloster war in solche Armut geraten, daß der Abt das Kloster wegen des Mangels an allem und wegen der Zerstörung des Klosters dort bisweilen nur drei bis vier von den Brüdern wie in der Wüste zurückließ."
Richenthal Chronik
Dokument 09
Die Verurteilung und Verbrennung des Jan Hus 1415. Inkunabel aus der Chronik des Ulrich von Richental über das Konstanzer Konzil 1414-1418, 1483. Augsburg.
Dokument 09
AT-OeStA/HHStA Bibliothek, Sign.: Blau 575a
Richenthal Chronik
Dokument 09
Umschrift verso: "Hie degradierten den hussen zwen erczbischoff hie gemalet vnd jre wappen"
Über den Wappen: "Pysencz", "mayland."
Umschrift recto: "Das xxxiiii blat // Hie ward die aesch des hussen als er ver= // brant ward vnd sein gebein in den rein gefuert“