"Die Suche nach dem Österreichischen führt uns unweigerlich ins Archiv“
Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs
Mander, `s ischt Zeit
Dokument 39
An der Spitze des Tiroler Aufstands gegen die bayerische und französische Fremdherrschaft 1809 steht die verklärte Verkörperung des idealtypischen Volkshelden: Andreas Hofer und ein seit Spartakus geläufiges Handlungsmuster: Triumph der Rebellion – das Imperium schlägt zurück – Exekution.
Der große Heinrich Heine, der knapp zwei Jahrzehnte nach den dramatischen Ereignissen eine Italienreise unternimmt, die ihn von München über Tirol nach Genua führen wird, findet in seinen Reisebildern für den Volksaufstand von 1809 lediglich Worte des Unverständnisses, ja der Verachtung. Schön, heiter, ehrlich, brav, zugleich von „unergründlicher Geistesbeschränktheit“, hätten sich die Tiroler – eine „gesunde“, aber zu politischer Reflexion nicht fähige „Menschenrasse“ – für ihren Kaiser in weißem Rock und roten Hosen erhoben gegen den neuen Fürsten in blauem Rock und weißen Hosen. Zu ihren Büchsen hätten sie gegriffen, Weib und Kind geküsst, um herabzusteigen von ihren Bergen und sich totschlagen zu lassen für den weißen Rock und die „lieben alten roten Hosen“. Nun, Heinrich Heine – der große deutsche Dichter und Menschenfreund, der etwa den in ihrem Elend verstummten schlesischen Webern eine so gewaltige Stimme zu geben 39 vermochte – hat sich in dieser seiner Einschätzung eindrucksvoll geirrt. Denn die Beweggründe, die hinter der Rebellion der Tiroler Bauern gegen Besatzung und Moderne stehen, sind alles andere als eindeutig – und gerade aus dieser Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit entstand ein Mythos, der wahlweise von Liberalen wie Konservativen, von Austrofaschisten wie Nazis und in gewisser Weise auch von der Erinnerungs- und Identitätskultur der Zweiten Republik instrumentalisiert werden konnte.
Da ist zunächst und zuvorderst die Empörung gegen die seit 1805 bestehende bayrisch- französische Fremdherrschaft, die sich in Verbindung mit dem grundlegend antimodernistischen Habitus einer armen, aber freien Bauernschaft zu einer fundamentalen Opposition gegen ein Verfassungsoktroi (1808)* formiert, das den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet ist. Da ist des Weiteren die Auflehnung gegen die schwerwiegenden Eingriffe in Gestaltung und zeremoniellen Ablauf des bäuerlichen religiösen Lebens. Und da ist nicht zuletzt die soziale Dimension: Eine Vielzahl der bäuerlichen Wirtschaften ist überschuldet, eine Art Währungsreform heizt die Situation lediglich weiter an. Als dann flächendeckende Rekrutierungen das vermeintlich verbriefte Privileg der Tiroler, Kriegsdienst ausschließlich zur Verteidigung der eigenen Grenzen leisten zu müssen, schlicht außer Kraft setzen, entlädt sich der latente Unmut in Aufstand und Empörung.
Wesentliche Aspekte dieses Szenarios verdichten sich in der widersprüchlichen Figur des charismatischen und wortgewaltigen Sandwirtes aus dem Passeiertal, Inbegriff von bäuerlichem Stolz und Freiheitssinn. Andreas Hofer, als Sohn eines Pferdehändlers und Schmugglers in ein Milieu der Widersetzlichkeit gewissermaßen hineingeboren, galt als anerkannter Raufbold, geeichter Trinker und zielsicherer Schütze. Spätestens seit seiner Teilnahme am konspirativen Brixener Bauernkonvent vom November 1807 amtsbekannt, war er gleichwohl ein sozusagen „konservativer Rebell“. Er sah sich selbst als Kämpfer Gottes, war bigott und fundamentalistisch, bis zur Selbstaufgabe loyal gegenüber Krone und Dynastie. In Erzherzog Johann, einem Bruder des Kaisers, fand er einen mächtigen Unterstützer.
Als Franz I. im April 1809 dem in Spanien mit einem brutalen und verlustreichen Guerillakrieg konfrontierten Napoleon den Krieg zur „Befreiung Deutschlands“ erklärt, rufen die beiden Schützenhauptmänner Andreas Hofer und Martin Teimer ganz Tirol zum militärischen Widerstand auf. Von den städtischen Oberschichten weitgehend ignoriert, kämpfen sie für den Kaiser und sein Land, für die Gottesmutter und das Herz Jesu. Und sie sind – ganz im Gegensatz zum unglücklichen Habsburgerkaiser, der am 5. und 6. Juli in der Schlacht bei Wagram gegen Napoleon ein militärisches Debakel erlebt – erfolgreich: Die dritte Berg-Isel-Schlacht vom 12. August bringt eine (vorläufige) Entscheidung. Hofer zieht als Befreier und Landeskommandant in Innsbruck ein, versteht sich aber stets nur als „Verweser“ des Kaisers und des Prinzen Johann; er agiert populistisch, entwickelt keine klaren politisch-strategischen Perspektiven, neigt zu Gemütsschwankungen, steht unter dem Einfluss des fanatischen Kapuzinerpaters Joachim Haspinger und verfällt schließlich in eine Art religiösen Fatalismus.
Denn mittlerweile hat Napoleon Franz I. mit dem Frieden von Schönbrunn eine historische Demütigung zugefügt, Tirol fällt (wie auch Salzburg und das Innviertel) erneut an Bayern. In einer vierten, der sogenannten „Allerheiligen-Schlacht“ am Berg Isel vollzieht sich der finale Akt des Tiroler Aufstandsdramas. Aufgerieben zwischen Resignation und Wider- stand, erlässt Hofer letzte, völlig widersprüchliche Befehle und sucht schließlich Zuflucht in einer abgelegenen Almhütte im Passeier. Hier diktiert er seinem Schreiber Kajetan Sweth einen Abschiedsbrief an Erzherzog Johann, in dem er jegliche Schuld an der Tragödie seiner Heimat auf sich lädt. Andre Hofer, zunehmend apathisch, aber unbeirrt in seiner Gottesfürchtigkeit, endet schließlich durch Verrat; er wird am 20. Februar 1810 im nord- italienischen Mantua erschossen.
Schnell setzt eine Legendenbildung ein, die vom Kaiser und von dessen Staatskanzler Metternich ob ihres potenziell subversiven Gehalts durchaus argwöhnisch beobachtet wird. Erst als 1823 Tiroler Schützen in geheimer Aktion die Gebeine Hofers ausgraben und nach Innsbruck bringen, sieht man sich gezwungen, den Mythos in Dienst zu nehmen und den treuesten der Untertanen in der dortigen Hofkirche zu bestatten. Ein patriotischer Mythos übrigens, der in österreichs Schicksalsstunden mit gewisser Regelmäßigkeit bemüht werden sollte. Nicht umsonst bezog sich der autoritäre Kanzler Kurt Schuschnigg in seinem Bemühen um eine breite Mobilisierung gegen die drohende Annexion durch Nazideutschland auf einen Andreas Hofer zugeschriebenen Schlachtruf: „Mander, ’s ischt Zeit.“
– Wolfgang Maderthaner –
Schreiben Andreas Hofers
Dokument 39
26. Jänner 1809, Tragwald. Schreiben Andreas Hofers an Erzherzog Johann.
Dokument 39
AT-OeStA/HHStA StK Vorträge 184 (Konv. 1810 März, fol. 127 a+b)
Schreiben Andreas Hofers
Dokument 39
AnS[ein]e K. K. Hochheit den ErzherzogJohan--------------------------------------------------
Tragwald, d[en] 26ten Jäner a[nno] 1810
Mein Herz, welches stets zu S[ein]er K. K. Hochheit (den dasganze Tirol ihren Vater nennet) das Zutrauen hatte, fliehetauch itzt dahin und wartet, da es ohnehin in Meern derTraurigkeit und Trübsallen versenket ist, ob es erhöret wirdoder hin sich versenken muß, allwo es itzt Tage und Nächtemit banger Erwartung durchwandert. Nicht jene Traurigkeitwegen meinem Hab und Guts Verlurst, und meinem Weib undKindern (welche mit mir in einem öden Stall auf einer Alpewegen den betränkten Gemüthe und harten Joche, welchesmeine viel-geliebtesten Mitbrüder schwer drüket, flehen undunzählige Seufzer dem gerechten Gott schicken) feßelt mich,sondern die wehmüthige Stimme und das immerwährendeWort „ach! welches Elend!“ machet meine Selle betrübt, dievor Linderung dieses betränkten [bedrängten] Joches nichtfröhlich seyn wird: Denn auf Haus Oesterreichs Zuspruch undHoffnung, Ihre Heere in unserem Lande als Vertheidigungs-Mitbrüder zu zählen, sprach ich meinen Waffen Brüdern zu,„Haus Oesterreich verlaßt uns nicht …“, und aus diesem Grunderuften wir im Tonner der Kanonnen und kleinen Geschütz:„auf, auf, Brüder und lustig! der edlen Religion und demsanften Scepter Haus Oesterreichs zu Lieb!“Ja selbst der Spruch feindlicher Mächte herschet in Tirol:Tiroler Tapferkeit ist die Ursach Oesterreichs so langerBestandheit, und unserer Truppen Schwachheit, sie, dieseFeinde wünschen Tiroler Herzen an sich zu binden, unddrohen, dem edlen Haus Oesterreichs gewogene Tiroler seineHüt[t]e über sein Haupt einzuäschern und ihn seiner Güterund Lebens zu berauben, wenn er Oesterreich nicht vergessenwill; und doch erschüttert er sich nicht, er erschröket nicht,und spricht: alles für Gott und Haus Oesterreich … ja wennsich unter Tiroler Vertheidigern einige befanden, die Muthloswurden, so sprach ich Ihnen Muth zu mit diesen Worten: baldwerden wir Oesterreichische Truppen bey uns sehen, und sowurde der Zaghafte wieder getröst, grif zu den Waffen undstritt ohne Rast.Aber nun – ach Leider, Gott! – muß ich als Lügner vor meinenBrüdern stehen, zu Schanden vor allen werden, und nichtsanders wartet mir als die Fluchreden in das Kühle Grab: Dubist die Ursach unsers Unglücks, aber auch dieses wollteich gerne ertragen; nur das strenge Gericht Gottes, wo ichRechenschaft über meine Untergebene werde ablegen müßen,befürchte ich,weil bey dieser feindlichen Regierung nicht nur allein dasZeitliche, sondern auch das ewige verlohren ist, nehmlichdie Sellen so vieler Tausenden, die durch allerhand Lasterund Sünden nun Opfer des Teufels werden; und aus diesenGrunde, da ich zwar ohnehin nicht sicher nach Oesterreichkommen könne, fällt es mir schwer, Tirol zu verlassen.Daher wenn S[ein]er K. K. Hochheit wie auch S[ein]er K. K.Majestät d[em] Kaiser von Oesterreich an Tirol gelegen ist,wenn Sie unser Blut für Oesterreichs Bestandheit annehmenwollen, so bitte ich in Nahmen aller gut gesinnten Tiroler, unsnur eine kleine Hilfe an Truppen zu senden, und ich werdenach Kräften meine gut gesinnten Mitbrüder (welche täglichzum Streiten bereit sind und Ruhe [Frieden] wünschen) inWaffen haben, und vereint mit Oesterreichs Heere zu streiten,den Feind zu schlagen, mich wie zuvor bemühen. Nur bitteich: Hilfe, Hilfe, das Uibrige wird Anton Wilt und Kristian N.mündlich überbringen, welche ich absendete, doch eine eigeneHandschrift von S[ein]er Majestät dem Kaiser oder K. K.Hochheit Erzherzog Johan zu erhalten, damit ich gewiß weiß,wie es um Tirol stehet, denn die von mir abgesandten Courirekommen als meine wahrenFreunde wieder zu mir zurük. Dieses bitte ich auch desgleichendem würdigsten Generalissimus Erzherzog Karl zu übersenden,und zu bitten, daß er mir als einen Unbekannten verzeihe, daßich auch Ihn um Hilfe anflehe, uns Tiroller nicht zu verlassen,denn auch wir wollen Oesterreich nicht vergessen und alleKräften nach Möglichkeit zum Streiten anspannen.Desgleichen bitte ich auch, unser geliebtesten Kaiserin undMuter Tirols davon zu verständigen, daß Sie uns als ihreKinder, wie ihre Frömmigkeit ohnehin bekannt ist, in ihrenGebeth einschließe, denn auch wir werden Sie nicht vergessen,sondern ihr zu Lieb den letzten Tropfen Blut vergiessen und Sie lieben bis an das End, wie eine Mutter Ihre getreuenKinder.
Der arbme verlassneSinder Andre Hofer
Schreiben Andreas Hofers
Dokument 39
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