Finis Austriae

Dokument 82

Durch die Annäherung zwischen der faschistischen „Achse Berlin – Rom“ verliert Österreich Italien als Schutzmacht. Im Februar 1938 überschlagen sich die Ereignisse nach der Ankündigung Kanzler Schuschniggs, über die Unabhängigkeit Österreichs abstimmen lassen zu wollen: Schuschnigg tritt zurück, wenige Stunden später beginnt in der Nacht zum 12. März der Einmarsch deutscher Truppen.

Das dramatische Erstarken der NSDAP in Deutschland im Gefolge der wirtschaftlichen Depression der 1930er-Jahre stärkte auch die nationalsozialistische Bewegung in Österreich und führte, vor allem nach der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933, zu verstärkter terroristischer Aktivität sowie in weiterer Folge zum Verbot der Partei durch die ständestaatliche Regierung. Weitere Terrorwellen konnten dennoch nicht verhindert werden und gipfelten am 25. Juli 1934 in einem Putschversuch, bei dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erschossen wurde. Dessen Nachfolger, Kurt Schuschnigg, setzte den außenpolitischen Kurs mit Anlehnung an das faschistische Italien, welches eine Art Schutzfunktion gegenüber Deutschland wahrnahm, fort.

Infolge des italienischen Angriffs auf Abessinien (Äthiopien) im Oktober 1935 und der daraus resultierenden internationalen Isolation Italiens kam es jedoch zu einer Annäherung zwischen Benito Mussolini und Hitler, was Österreich immer mehr in den deutschen Einflussbereich brachte. Der zunehmende Druck führte zum sogenannten „Juliabkommen“ vom 11. Juli 1936 zwischen Österreich und dem Deutschen Reich, worin sich Österreich neben einer außenpolitischen Anlehnung an den Berliner Kurs unter anderem zu einer Amnestie der inhaftierten Nationalsozialisten sowie zur Aufnahme zweier Hitler-Vertrauter (Edmund Glaise-Horstenau und Guido Schmidt) in die Regierung verpflichtete. Im Gegenzug sicherte die deutsche Reichsregierung die Aufhebung der „1000-Mark-Sperre“ (jeder Deutsche hatte seit Juni 1933 1000 Reichsmark vor der Einreise nach Österreich zu bezahlen) und die Beachtung der Souveränität beziehungsweise Nichteinmischung in innere Angelegenheiten Österreichs zu. Kurzfristig brachte dieses „Gentleman-Agreement“ (sic!), welches besonders vom deutschen Gesandten in Wien, Franz von Papen, betrieben und von ihm auch unterzeichnet wurde, eine Beruhigung in den zwischenstaatlichen Beziehungen, langfristig ermöglichte es aber eine deutsche Infiltrationspolitik sowohl auf politischer als auch wirtschaftlicher Ebene.

Die Ständestaatregierung versuchte mit der Auflösung aller Wehrverbände eine Machtverschiebung im innenpolitischen Gefüge zu erreichen. Allerdings gelang es nicht, die Nationalsozialisten in kontrollierter Form in die Vaterländische Front einzubinden und so hatte der Druck auf Österreich von innen wie außen zu Beginn des Jahres 1938 massiv zugenommen. Die einzige Alternative blieb, wie vom Gesandten Papen gefordert, ein persönliches Gespräch mit Hitler. Am 12. Februar 1938 reiste Bundeskanzler Schuschnigg in Begleitung des Staatssekretärs für Äußeres, Guido Schmidt, zu einem Treffen mit dem deutschen Reichskanzler auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden. Nach einem zweistündigen Gespräch ohne Zeugen präsentierte Hitler schließlich den Entwurf eines Abkommens, durch das den österreichischen Nationalsozialisten weitreichende politische Entfaltungsmöglichkeiten zugesichert werden sollten. Unter anderem wurde etwa die Einsetzung von Arthur Seyß-Inquart als Innenminister mit absoluter Polizeigewalt festgeschrieben. Hitlers Worte dazu: „Verhandelt wird nicht, ich ändere keinen Beistrich. Sie haben zu unterschreiben, oder alles andere ist zwecklos, und wir sind zu keinem Ergebnis gekommen. Ich werde dann im Laufe der Nacht meine Entschlüsse zu fassen haben.“ Schuschnigg beugte sich dem Druck, erreichte lediglich eine „Gnadenfrist“ von drei Tagen, da Ministerernennungen verfassungsrechtlich erst vom Bundespräsidenten gebilligt werden mussten, und unterschrieb. Der Text des Abkommens ist in einer auffällig großen Schrift, der sogenannten „Führertype“, verfasst, damit Hitler trotz seiner Fehlsichtigkeit ohne Brille lesen konnte, und trägt die Unterschriften von Adolf Hitler und Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop für das Deutsche Reich sowie von Kurt Schuschnigg und Guido Schmidt für Österreich. Wie die folgenden Wochen zeigen sollten, besiegelte es bereits das Ende eines eigenständigen österreichischen Staates.

Auf Hitlers Reichstagsrede vom 20. Februar, in der er die Ansprüche des Deutschen Reiches auf Österreich bestärkte, trat Schuschnigg die Flucht nach vorne an und setzte eine Volksbefragung „für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich“, mit der die Souveränität bestätigt werden sollte, für den 13. März an. Zu diesem Referendum sollte es aber nicht mehr kommen, denn Schuschnigg kapitulierte nach heftigem Druck Hitlers und des späteren Reichsmarschalls Hermann Göring, die unter ultimativen Einmarschdrohungen die Rücknahme der Volksbefragung, den Rücktritt des Kanzlers sowie die Übergabe der Regierungsgeschäfte an Seyß-Inquart forderten. In seiner am 11. März im Rundfunk gehaltenen Abschiedsrede erklärte Schuschnigg, keinen Einsatzbefehl für das Bundesheer zu geben, um „kein deutsches Blut zu vergießen“, und „der Gewalt zu weichen“. So überschritten deutsche Truppen am frühen Morgen des 12. März 1938 die österreichische Grenze und der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich war de facto vollzogen.

 – Dieter Lautner –

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Entwurf des „Berchtesgadener Abkommens“

Dokument 82

Protokoll des Gesprächs zwischen dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler und dem österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg als Entwurf des „Berchtesgadener Abkommens“. 12. Februar 1938, Obersalzberg.