Das Privilegium Maius

Dokument 07

Erst Forderung, dann Faktum: 1358/59 entsteht auf Antrieb des auf den Vorrang des Hauses Habsburg bedachten, ehrgeizigen Herzogs Rudolf IV. eine der bekanntesten, geschicktesten und noch immer geheimnisumwitterten Urkundenfälschungen. Nach knapp hundert Jahren bestätigt Kaiser Friedrich III. die „österreichischen Freiheitsbriefe“.

In den Jahren 1358/59, nach dem Tod Herzog Albrechts II., entstand in der Kanzlei Herzog Rudolfs IV. ein ganzer Komplex von Urkunden, der – jahrhundertelang als „österreichische Freiheitsbriefe“ bezeichnet – seit dem 19. Jahrhundert unter dem Namen Privilegium maius bekannt ist. Insgesamt wurden fünf Urkunden angefertigt, die teilweise auf existierenden Vorurkunden basierten, teilweise frei erfunden waren. Die Person des Verfassers ist nach wie vor unbekannt, in der Forschung wurde immer wieder der Kanzler Rudolfs, Johann Ribi von Platzheim, in Betracht gezogen. Diese Fälschungen, die die Stellung der österreichischen Länder im Reich und den Rang der Habsburger unter den Reichsfürsten untermauern sollten, wurden Kaiser Karl IV. im November 1360 in Form einer Abschrift, eines sogenannten Vidimus, zur Bestätigung präsentiert. Diese erfolgte auch – aber nicht in allen Punkten. Der Kaiser forderte über den Inhalt der Urkunden ein Gutachten bei Francesco Petrarca an, der die inserierten Urkunden Julius Caesars und Neros zwar als „Eselei“ abqualifizierte, aber ansonsten sah der Kaiser die Urkunden, die man ihm vorgelegt hatte, als Forderungskatalog seines habsburgischen Schwiegersohns, den er akzeptieren konnte oder nicht.

Beim vorliegenden Stück handelt es sich um das eigentliche Privilegium maius, also die Erweiterung des Privilegium minus. Das „Minus“ war von Kaiser Friedrich I. Barbarossa 1156 für den Babenberger Heinrich Jasomirgott ausgestellt worden: Als Gegenleistung für den Verzicht auf das Herzogtum Bayern, das seit 1139 in babenbergischer Hand gewesen war, hatte der Kaiser dem Babenberger und dessen Frau Theodora eine Reihe besonderer Vorrechte (weibliche Erbfolge, libertas affectandi, Beschränkung der Vasallenpflichten etc.) gewährt und gleichzeitig die Markgrafschaft österreich in ein Herzogtum umgewandelt. Die lehensrechtliche Bindung österreichs an das Herzogtum Bayern war damit gelöst worden, und mit der Beibehaltung des Herzogstitels konnte der fürstliche Rang Heinrichs unvermindert bestehen bleiben. Der Rechtsinhalt der Barbarossa-Urkunde ist nur abschriftlich überliefert – das Originaldiplom von 1156 wurde bei der Herstellung des „Maius“ vernichtet, die Goldbulle, die daran angebracht war, hängt seitdem an der Fälschung. Der Schreiber imitierte geschickt die Buchstabenformen und Formulierungen des Originals, sodass aufgrund der Fälschung sogar der Kanzleischreiber aus der Kanzlei Barbarossas von 1156 nachgewiesen werden konnte.

Was den Rechtsinhalt betrifft, lassen sich beim Vergleich der Texte von „Minus“ und „Maius“ nur wenige sachliche übereinstimmungen feststellen. Gelegentlich wurde das „Maius“ als Forderungskatalog Herzog Rudolfs IV. an den Kaiser interpretiert: Völlige Unabhängigkeit vom Reich und gleichzeitig eine besondere Ehrenstellung des Landes österreichs im Reichsverband sind die zentralen Elemente dieser Forderung. Die Fälschung spiegelt auch eine erhebliche Veränderung im Verständnis des Begriffs Land wider. War es zuvor durch eine Personengemeinschaft konstituiert, stellt es sich nun als von dieser abstrahierte Einheit dar, die bestimmte Rechte hat. Diese Rechte stehen dem jeweiligen Herzog aufgrund seines Amtes zu. Die Urkunden besitzen daher nicht nur für den unmittelbaren Empfänger Gültigkeit, sondern auch für dessen Amtsnachfolger. Dieser Gedanke spielte für die Motivation der Fälschung eine wichtige Rolle: Die Habsburger in der Nachfolge der Babenberger als österreichische Landesfürsten waren stets darauf bedacht, Kontinuität zu ihren Vorgängern herzustellen.

über hundert Jahre nach Entstehung des Fälschungskomplexes erhielten die Fälschungen reichsrechtliche Gültigkeit: Kaiser Friedrich III. bestätigte 1453 den Inhalt der „österreichischen Freiheitsbriefe“, nachdem er das bereits 1442 als König getan hatte. Der Streit um die Echtheit und die Entstehungszeit setzte erst im 19. Jahrhundert ein, als die politische Bedeutung der Dokumente nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches vollständig erloschen war. Der darüber entbrannte Historikerstreit zwischen Vertretern der österreichischen Historiografie und Historikern aus Deutschland war für österreich nicht zu gewinnen. Wilhelm Wattenbach enttarnte das Privilegium maius 1852 als Fälschung.

– Thomas Just – – Kathrin Kininger –

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Das Privilegium maius

Dokument 07

Kaiser Friedrich I. erhebt die Mark Österreich zum Herzogtum mit außergewöhnlichen Vorrechten (das sogenannte Privilegium maius). Fälschung aus der Kanzlei Herzog Rudolfs IV., 1358/59.