Wir sind Europa

Dokument 98

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist ein Meilenstein der Zeitgeschichte des Landes. Mit dem klaren Bekenntnis der Bevölkerungsmehrheit zur EU und dem Beitritt mit 1. Jänner 1995 beginnt eine neue Phase grenzüberschreitender wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit.

In seiner Beziehung zu der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sah sich Österreich von Beginn an mit dem Problem der Vereinbarkeit zwischen dem Neutralitätsstatus und der womöglich aktiven Mitgestaltung der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit konfrontiert. Zunächst wurde mit Dänemark, Schweden, Norwegen, Portugal, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich 1960 die Europäische Freihandelszone (EFTA) gegründet, mit dem Ziel, neben der Abschaffung der Binnenzölle ein alternatives Integrationsmodell zu bilden. Nach dem Scheitern einer gemeinsamen Annäherung an die EWG trieben die einzelnen Staaten diese jeweils im bilateralen Weg voran. Während Großbritannien, Dänemark und Norwegen bereits 1961 den Beitritt beantragten, stellten die ebenfalls neutralen Staaten Schweden und Schweiz gemeinsam mit Österreich am 15. Dezember 1961 einen Assoziierungsantrag. Während erstere ihre Anträge nach dem Scheitern der britischen Beitrittsverhandlungen 1963 aber ruhen ließen, entschied sich Österreich für einen Alleingang und erneuerte das Ansuchen. Ein EWG-Arrangement war allerdings schwierig zu erreichen, vor allem da die Sowjetunion eine Annäherung als Bruch des Staatsvertrags sah. Gescheitert sind die Verhandlungen vorerst 1967 am Veto Italiens (wegen der Südtirol-Problematik), doch nach positiven Entwicklungen in diesem Punkt kam 1969 wieder Bewegung in die Annäherungsversuche und am 22. Juli 1972 konnte ein Interimsabkommen zum Zollabbau mit der mittlerweile als EG (Europäische Gemeinschaft) firmierenden Organisation abgeschlossen werden. 1984 kamen EG und EFTA schließlich überein, die Zusammenarbeit auf Basis eines multinationalen Dialogs fortzusetzen (Luxemburg-Prozess), wobei erstmals von der Bildung eines dynamischen Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) gesprochen wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte in Österreich bereits eine intensive politische Diskussion um den Beitritt eingesetzt. Im Gegensatz zu den anderen neutralen Staaten Europas sah man diesen nicht länger als unvereinbar mit dem Neutralitätsstatus an. Am Ende dieses innenpolitischen Diskurses stand ein weiterer österreichischer Alleingang und Außenminister Alois Mock übergab am 17. Juli 1989 dem Präsidenten des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft den österreichischen Beitrittsantrag. Als 1991 und 1992 die anderen neutralen Länder folgten, konnte Österreich bereits eine grundsätzlich positive Stellungnahme der EG-Kommission zum Beitrittsantrag vorweisen. Die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union (EU), wie sie durch den Maastrichter Vertrag ab November 1993 heißen sollte, wurden am 1. Februar 1993 aufgenommen und ein Jahr danach abgeschlossen. Besonders heikle Punkte dabei waren der Transit durch Österreich und die Vereinbarkeit der Neutralität mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der EU (GASP). Nach der Ratifizierung des Beitrittsvertrags durch das Europäische Parlament am 4. Juni war noch eine laut Verfassung erforderliche Volksabstimmung durchzuführen, die für 12. Juni 1994 angesetzt wurde. Trotz unterschiedlicher Auffassungen im Laufe der Beitrittsverhandlungen wurde der EU-Beitritt von weiten Teilen der Öffentlichkeit, vor allem von der SPÖ/ÖVP-Koalition, als wichtigstes politisches Ereignis seit dem Österreichischen Staatsvertrag 1955 bewertet. Die Oppositionsparteien (mit Ausnahme des Liberalen Forums) sprachen sich gegen einen Beitritt aus, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven und mit anderen Argumenten. Die FPÖ, noch Befürworter des Beitrittsgesuchs 1989, machte mit Warnungen vor einem Identitätsverlust Österreichs, vor steigender Kriminalität oder dem Bürokratismus in Brüssel gegen den Beitritt Stimmung, während die Grünen, die wiederum nach der Volksabstimmung ihre Meinung zur EU-Mitgliedschaft änderten, mit Bedenken zu Neutralität, Umwelt und Demokratiepolitik argumentierten. Bei einer Wahlbeteiligung von 82,5 Prozent stimmten 66,6 Prozent für Ja und 33,4 Prozent für Nein. Norwegen – neben Österreich, Schweden und Finnland ein weiterer Beitrittskandidat – votierte per Volksentscheid gegen den Beitritt und die Union wurde somit vorerst nur auf 15 statt wie geplant 16 Staaten ausgebaut.

Die Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags, eines multinationalen Abkommens zwischen den zwölf Mitgliedern und den beitretenden Staaten, fand am 24. Juni 1994 in der Georgskirche auf der Insel Korfu statt. Die Ratifikationsurkunde des durch den Nationalrat in Kraft gesetzten Vertrags wurde am 22. November von Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Franz Vranitzky unterzeichnet und schließlich am 24. November 1994 in Rom hinterlegt. Da alle Vertragswerke zu EU-Beitritten seit dem EWG-Vertrag der sechs Gründungsstaaten in Rom deponiert werden, ist das Protokoll über die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum EU-Beitrittsvertrag das einzige offizielle Vertragsstück in diesem Zusammenhang, das sich in Besitz der Republik Österreich befindet. Es trägt neben der Unterschrift Bundespräsident Klestils jene des italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro. Der Beitritt zur Europäischen Union erfolgte am 1. Jänner 1995.

– Dieter Lautner –

Mehr Weniger

EU-Beitritt Österreichs

Dokument 98

Ratifikation des Beitritts zur Europäischen Union mit den Unterschriften des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil und des italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro. 24. Juni 1994, Korfu.