Tirol

Dokument 08

1363 überschreibt Margarete von Tirol die Grafschaft an Rudolf IV. von Österreich und seine Brüder – Landgewinn ohne Militärgewalt. Ein geopolitisch wie wirtschaftlich wichtiger Puzzlestein fügt sich ins Gesamtbild ein.

Am 26. Jänner 1363 übertrug Margarete von Tirol, genannt Margarete Maultasch, ihre Rechte auf das Land Tirol an die habsburgischen Herzöge Rudolf IV., Albrecht III. und Leopold III. Margarete blieb nur die Statthalterschaft, auf die sie am 29. September desselben Jahres dann auch verzichtete. Tirol wurde somit ohne Einschränkung habsburgisch. Das war von geopolitischer Bedeutung – Tirol bildete die Landbrücke zwischen den habsburgischen Stammlanden in der heutigen Schweiz und den neu gewonnenen Herzogtümern. Aber das an Bodenschätzen reiche Tirol brachte den Habsburgern auch bedeutende Einnahmen ein, die ein wichtiges Fundament für den Aufstieg zur Weltmacht schufen.

Der Weg bis zur Erwerbung Tirols verlief jedoch nicht ohne Hindernisse. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kämpften Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger nicht nur um die Vorrangstellung im Heiligen Römischen Reich, sondern auch um die strategisch wichtige Grafschaft Tirol. 1330 wurde die zwölfjährige Erbin von Tirol, Margarete, mit dem noch jüngeren Johann (Heinrich) von Luxemburg vermählt. Der Übergang Tirols an die Luxemburger schien somit gesichert, und nach dem Tod von Margaretes Vater 1335 trat das junge Paar seine Nachfolge in Tirol und Kärnten an.

Doch bereits 1330 hatte König Ludwig der Bayer mit Herzog Albrecht II. von Österreich ein Geheimbündnis geschlossen, durch das den Habsburgern Kärnten und Tirol zugesichert wurde. Während Kärnten schon 1335 an die Habsburger ging, konnten sich Margarete und Johann Heinrich mit Unterstützung des Adels in Tirol einstweilen noch behaupten – 1336 verzichteten die Habsburger zunächst auf Tirol. Kaiser Ludwig erkannte schließlich 1339 die Herrschaft Margaretes und Johann Heinrichs an.

Aber 1341 kam der Stein erneut ins Rollen, als Margarete ihren Mann verstieß und mitsamt seinen böhmischen Vertrauten aus dem Land vertrieb: Als Johann Heinrich, den Margarete öffentlich der Impotenz bezichtigte, von einem Jagdausflug zurückkehrte, blieben ihm die Tore zum Schloss Tirol versperrt. Mit dem Argument, dass ihre Ehe nie vollzogen worden und daher nichtig sei, heiratete Margarete 1342 – ohne vorherige Annullierung ihrer Ehe mit Johann Heinrich – den Sohn Kaiser Ludwigs des Bayern, Ludwig den Brandenburger. Als Folge davon wurde das Paar exkommuniziert. Der Habsburger Albrecht II. setzte sich beim Papst für Margarete und Ludwig und ihren 1344 geborenen Sohn Meinhard ein; 1349 wurde die erste Ehe Margaretes für nichtig erklärt, und Ende der 1350er-Jahre dann auch der Kirchenbann aufgehoben. Somit stand 1358 einer Eheschließung von Meinhard mit Albrechts Tochter Margarete nichts mehr im Wege.

1361 starb Ludwig der Brandenburger überraschend, sein Sohn Meinhard trat 1362 zwar die Regierung in Tirol an, verstarb aber kurze Zeit später ebenfalls. Seine Mutter Margarete verhandelte daraufhin mit Rudolf IV., dem Sohn des mittlerweile verstorbenen Albrecht, und vermachte ihm und seinen beiden Brüdern am 26. Jänner 1363 Tirol. Insgesamt 14 Tiroler Adelige hängten ihre Siegel an das Pergament und bekundeten so ihre Zustimmung zu diesem Coup Margaretes. Die Wittelsbacher, die ihre Ansprüche nicht durchsetzen konnten, mussten sich mit den von Margarete und Rudolf IV. geschaffenen Tatsachen abfinden und erkannten 1369 im Frieden von Schärding die Herrschaft der Habsburger über Tirol endgültig an.

Die Tiroler wurden zu diesem Zeitpunkt aber keine Österreicher. Für die Zeitgenossen wäre das eine völlig abstruse Vorstellung gewesen. Es gab noch keinen Begriff, der das gesamte Herrschaftsgebiet der Habsburger benannte. Das verbindende Element war allein die Person des Landesfürsten. Das galt aber nicht nur für Tirol, sondern auch für die anderen Länder unter der Herrschaft der Habsburger. Erst viel später, mit der Gründung des Kaisertums Österreich 1804, wurde der gesamte Länderkomplex unter diesem Namen zusammengeführt. Dieses jahrhundertelange Nebeneinander von eigentlich selbstständig funktionierenden Ländern, die vor allem durch die herrschende Dynastie verbunden waren, bildet das historische Substrat für die immer noch stark föderalistische Struktur der Republik Österreich.

Die Urkunde stellt aber nicht nur ein wichtiges Dokument zur habsburgisch-österreichischen Geschichte dar, sondern ist auch sprachgeschichtlich bedeutsam. In einer Notiz am rechten unteren Rand vermerk- te ein Schreiber der Kanzlei: „Wer disen brief iemer gelese, der merche und verste, daz nach der gewonheit dez land ze Payrn an manigen stetten ain lindes b gesetzet ist für ain zwivalt w. und hin wider ain zwivalt w für ein lindes b. Darumb nach bezaichnuzze der Worten und dez sinnes begreiffe das ain ieglicher vernunftiger leser.“ Dabei handelt es sich um eine der ältesten Äußerungen über lokalen Sprachgebrauch, nämlich dass im bayrischen Sprachraum „b“ und „w“ gleichbedeutend verwendet würden. Margarete verließ noch 1363 Tirol und ließ sich in Wien nieder, wo sie bis zu ihrem Tod 1369 in der Nähe des Minoritenklosters wohnte und dort schließlich auch begraben wurde. Ihre sterblichen Überreste wurden daher nur wenige Schritte entfernt vom heutigen Aufbewahrungsort der Urkunde, mit der sie Tirol an die Habsburger übertragen hatte, beigesetzt.

– Kathrin Kininger –

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Margarete von Tirol

Dokument 08

26. Jänner 1363, Bozen. Margarete „Maultasch“ Markgräfin von Brandenburg, Gräfin von Tirol überträgt mit Zustimmung ihrer Räte Tirol an Herzog Rudolf IV. und seine Brüder Albrecht und Leopold von Österreich.