Königgrätz

Dokument 46

Die politischen Weichenstellungen im Anschluss an den für österreich katastrophalen Schlachtausgang am 3. Juli 1866 sind nicht zu überschätzen: Der Fortschritt moderner preußischer Militärtechnologie ist Symbol der aufkeimenden Hegemonie eines neuen Deutschland, Italien geht endgültig verloren, der Kaiser gerät innenpolitisch unter Druck.

Die vom Wiener Kongress festgeschriebene Oberhoheit über Italien entwickelte sich für österreich zum politischen Fiasko. Die militärischen Niederlagen gegen das im Bündnis mit Napoleon III. stehende Sardinien-Piemont (Schlachten von Magenta und Solferino am 4. und 24. Juni 1859) wogen schwer: In Oberitalien – ebendort, wo Radetzkys Waffentaten den Neoabsolutismus (mit)begründet hatten – wird ein Jahrzehnt später dessen Ende besiegelt. österreich muss die Lombardei an Sardinien abtreten. Dem Krieg folgt die Revolution in den italienischen Kleinstaaten unter der Führung Giuseppe Garibaldis. Die dem habsburgischen Einflussbereich zugehörigen Fürsten werden vertrieben, ihre Länder mit Sardinien-Piemont zum Königreich Italien vereinigt (1861).

Der Erfolg der italienischen nationalen Einigung lässt seinerseits den kleindeutschen Liberalismus, der auf eine preußische Hegemonie unter Ausschluss des Habsburgerreiches abzielt, deutlich erstarken. österreich muss sich dem nunmehr unvermeidlich gewordenen Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland stellen – und man würde diese Konfrontation ohne ein gewisses Maß der Macht- und Gewaltenteilung kaum bestehen können. Mit dem Verfassungswerk des Staatsministers Anton von Schmerling, dem im Februar 1861 erlassenen, deutsch-zentralistischen Februarpatent, wird österreichs Führungsanspruch in Deutschland unterstrichen. Es handelt sich dabei um eine Kurienverfassung, die Konzessionen an die bürgerliche Freiheit macht und die politischen Aspirationen der aufstrebenden Bourgeoisie, der josephinischen Bürokratie und des liberalen Adels („verfassungstreuer Großgrundbesitz“) zum Ausdruck bringt. Doch das Februarpatent scheitert am entschiedenen Widerstand der ungarischen Magnaten und wird viereinhalb Jahre nach seiner Proklamation wieder aufgehoben. Ohne Verfassung und ohne Parlament geht österreich in den Feldzug von 1866, der in ein sprichwörtlich gewordenes Debakel mündet.

Die gigantische Schlacht, die welthistorische Bedeutung gewinnen und Europa von Grund auf umgestalten sollte, fand am 3. Juli 1866 auf einem Gelände von zehn Kilometern Breite und fünf Kilometern Tiefe zwischen dem böhmischen Dorf Sadowa und der Festung Königgrätz (Hradec Králové) statt; mehr als 400.000 Soldaten waren aufgeboten. Auf Seiten österreichs stand die Mehrheit der Staaten des Deutschen Bundes, auf Seiten Preußens war vor allem Italien (mit der Aussicht auf den Erwerb Venetiens) in den Krieg eingetreten. Dessen Ausgang wurde von einer Reihe zeitgenössischer Kommentatoren mit geradezu bemerkenswerter Klarsicht beurteilt: Das politische Gesicht der Welt habe sich verändert, befindet der Londoner Spectator, dreißig Dynastien seien hinweggespült worden, das Schicksal von zwanzig Millionen Menschen wäre für immer betroffen. Das Neue, so die Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland, habe definitiv über das Alte gesiegt: „Die Reichs-Idee ist gefallen und begraben.“

Die Entscheidung in dem gewaltigen „innerdeutschen“ Ringen war lange Zeit auf des Messers Schneide gestanden, gegen Mittag des 3. Juli hatten sich die ersten Auflösungserscheinungen auf preußischer Seite bemerkbar gemacht, die Nerven lagen offensichtlich blank. In buchstäblich letzter Sekunde erst ging mit dem Sturm auf die Anhöhe von Chlum, die vom exzentrischen Generalstabschef Helmuth von Moltke gewählte, überaus riskante Strategie der „äußeren Linie“, des „getrennt Marschieren – vereint Schlagen“ auf, und die österreichischen Linien brachen unter dem Feuer der preußischen Zündnadelgewehre folgenschwer ein. Die furchtbare überlegenheit des von Johann Nikolaus Dreyse entwickelten Hinterladers hat ein bis heute nachwirkendes österreichisches Trauma (mit)begründet. Doch sind die Ursachen für die schwerwiegende Niederlage des vermeintlich überlegenen österreich weitaus komplexer. Die Militarisierung der preußischen Gesellschaft war vergleichsweise weit fortgeschritten, die allgemeine Wehrpflicht Grundlage taktischer Flexibilität und operativer Schlagkraft im Kampfgeschehen. Man hatte zudem die entsprechenden Konsequenzen aus dem Verlauf des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) gezogen – jenem Vorboten des industrialisierten Maschinenkriegs, in dem preußische Militärbeobachter auf Seiten der Nordstaaten zum Einsatz gekommen waren.

über allem aber stand als Leitidee die Begründung eines deutschen Nationalstaates im Zeichen preußischer Dominanz – nahezu ideal verkörpert im machiavellistisch agieren- den Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Man habe, so Moltke, einen seit Langem als notwendig erkannten, gut vorbereiteten Kampf um ein „ideales Gut“, um „Machterweiterung“ geführt. Die Euphorie über den preußischen Triumph in der (spätestens seit der Einrichtung des Deutschen Bundes am Wiener Kongress latenten) Deutschen Frage [Die Erfindung Europas] findet denn auch in quasi-religiösen überfrachtungen ihren Ausdruck, ebenso wie in (naheliegenden) Analogien zum deutschen Urtrauma schlechthin, dem Dreißigjährigen Krieg. Mit der Schlacht von Königgrätz habe dieser seinen endgültigen Abschluss gefunden, unter Preußens Führung könne sich nunmehr eine selbst- ständige, nach protestantischen Grundsätzen gestaltete deutsche Nation konstituieren.

Für die Habsburgermonarchie hingegen geriet die große innerdeutsche Auseinandersetzung zum entscheidenden Debakel: Sie verlor ihre Großmachtstellung in Deutschland, musste aus dem Deutschen Bund ausscheiden, trotz eigentlich günstigem Kriegsverlauf in Italien die wohlhabende Provinz Lombardo-Venetien abtreten und war zudem mit einer immensen Staatsverschuldung konfrontiert.

– Wolfgang Maderthaner –

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Das Schlachtfeld von Königgrätz

Dokument 46

Plan des Schlachtfeldes von Königgrätz (Situation am Mittag). 3. Juli 1866.

Die Niederlage von Königgrätz

Dokument 46

3. Juli 1866, Holic. Konzept des Telegramms aus dem Hauptquartier der k.k. Nordarmee über die Niederlage von Königgrätz.