Es ist ein gutes Land

Dokument 04

Der 26. August 1278 ist ein Paradebeispiel für den schmalen Grat zwischen Glück & Ende: Der Tod des Böhmenkönigs Otakar am Schlachtfeld markiert zugleich den Aufstieg Rudolfs von Habsburg und den Beginn einer 640 Jahre andauernden Herrschaft.

Es war eine glanzvolle Premiere, Symbol des Selbstbestimmungs- wie des Kulturwillens der wiedererstandenen Republik gleichermaßen. Sie fand am 15. Oktober 1955 statt, zu einem Zeitpunkt, da die letzten Besatzungssoldaten das Land verließen und kurz bevor dessen „immerwährende Neutralität“ per Bundesverfassungsgesetz festgeschrieben wurde. Das Burgtheater, seit jeher die führende Bühne des deutschen Sprachraums und in den letzten Kriegstagen 1945 als Munitionslager missbraucht, wurde an seiner traditionellen Wirkungsstätte am Ring mit Franz Grillparzers König Ottokars Glück und Ende wiedereröffnet. Im Vorfeld heftig debattiert, sollte dieses 1825 uraufgeführte „vollkommene österreichische Trauerspiel“ im schicksalhaften Aufeinandertreffen zweier unversöhnlicher Antagonisten „vaterländische Geschichte“ als kultisches Geschehen auf die Bühne bringen – auch wenn die Arbeiter-Zeitung lediglich „Langeweile in Ehrfurcht“ zu erkennen vermochte. Ottokar, der Gewaltmensch, der Anmaßende, ein „Hitler des 13. Jahrhunderts“ gar, steht dem Humanisten Rudolf von Habsburg gegenüber. Und wie aus dieser Konstellation die Grillparzer’sche Dichtung zum Hymnus auf die Heimat, die Nation und damit zu- gleich auf das übernationale, Völkerversöhnende wird, muss die Frage nach ihrem historischen Gehalt, so der Kritiker des Neuen Österreich, müßig bleiben: „Ob das geschichtlich stimmt, ist völlig irrelevant.“

In der Tat entspricht die Version des vormärzlichen Dichter-Archivars nur sehr bedingt der historischen Realität. Přemysl Otakar II., schon zu Lebzeiten als der „Goldene“ oder der „Eiserne“ apostrophiert, seit 1247 Markgraf von Mähren, seit 1253 König von Böhmen, 1251–1276 Herzog von Österreich, 1251–1254 und 1260–1276 Herzog der Steiermark, 1269–1276 Herzog von Kärnten und Krain, galt als der glanzvollste, vermögendste, mächtigste Reichsfürst seiner Zeit. Er vereinigte während des Zwischenreiches erstmals Böhmen mit den österreichischen Landen und schuf im zentraleuropäischen Raum, vom Baltikum bis zur Adria, erste Ansätze zu einer staatspolitischen Einheit, mit Prag als administrativem und kulturellem Mittelpunkt. Traditionell waren Machtbereich und Machtbefugnis der Fürsten des „Ostlandes“ stärker ausgeprägt als im herrschaftspolitisch zerrissenen, von zahllosen Immunitäten durchsetzten alten Reichsgebiet. Mächtig dominierten die Herzöge von Österreich die Kirche ihres Landes; sie verfügten über bedeutende finanzielle Mittel, zahlreiche Ministerialen (und darunter noch eine unfreie Ritterschaft) waren ihnen unter- tan. Von den durch die völlige Auflösung der Reichsgewalt im Interregnum* massiv verunsicherten österreichischen Landherren herbeigerufen, vermag Otakar diese traditionelle Machtbasis noch auszubauen; der nunmehr knapp über 20-jährige marchio Moraviae et dux Austriae sichert sie einerseits durch seine Heirat mit der Königinwitwe und Schwester des letzten Babenbergers, Margarete, ab und andererseits durch bedeutende Privilegierungen bayrischer und österreichischer Klöster.

Geprägt von den zeitgenössischen Idealen des Rittertums, versteht sich der „Eiserne“ vornehmlich als Krieger. Er unternimmt zwei Kreuzzüge zur Unterstützung des Deutschen Ordens im Baltikum – 1254/55, 1267/68 –, befindet sich in einer Art permanenter Fehde mit Bayern und vor allem mit Ungarn (und ist in zweiter Ehe mit Kunigunde von Masowien, der Nichte des ungarischen Königs Bela IV., verheiratet). Zusätzlich sieht er sich mit zahlreichen Aufständen nicht nur des österreichischen, sondern auch des böhmischmährischen Adels (u.a. der Herren von Rosenberg und der Witigonen) konfrontiert, die er nicht zuletzt durch Exekutionen von Geiseln zu brechen versucht. Die Revolten richten sich vor allem gegen eine konsequent betriebene Modernisierungspolitik; in geradezu exemplarischer Weise verstand es Otakar, die sozioökonomischen und mentalen Veränderungen im Zuge der Entwicklung von Warenproduktion und Warenzirkulation zu nutzen und zu befördern. Im Sinne einer Stärkung der Königsmacht und Straffung der Herrschaftsstrukturen wurden umfassende Rechtsreformen und die Zentralisierung wie Verschriftlichung der Verwaltung eingeleitet, Münz- und Steuerwesen auf eine neue Basis gestellt, die Juden – als wesentliche Exponenten der Geldwirtschaft – geschützt, die städtische Kolonisation bewusst vorangetrieben (mehr als 50 Stadtgründungen, Stadtrechtsverleihungen, Freiheitsbriefe), die (bäuerliche) Binnenkolonisation intensiviert und der Bergbau in großem Stil entwickelt (u.a. Silbergewinnung und Münze in Kuttenberg). Als vorwärtstreibende, überaus dynamische soziale Kraft erwiesen sich in diesem Zusammenhang deutsche Zuwanderer, die in das böhmische Königreich geholt worden waren. Entsprechend ausgeprägt ist die Affinität der Přemysliden zur deutschen Kultur. Der Habitus des deutschen Rittertums wird stilbildend, Reinmar von Zweter, der Tannhäuser, Ulrich von dem Türlin u.a. wirken an ihrem Hof, Prag entwickelt sich zu einem gerühmten Zentrum höfischer Kultur, am Hradschin entstehen unter dem zweiten Otakar bedeutende gotische Bauten, in Wien wird der spätromanische Stephansdom vollendet und der Grundstein für die Hofburg gelegt.

Durch die Vereinigung Böhmens und Österreichs (und in naher Zukunft auch Ungarns) wurde ein mächtiges, ökonomisch und kulturell prosperierendes „Kolonialreich“ und damit eine schwerwiegende Option auf die deutsche Königskrone geschaffen – und in eben dieser Hinsicht wird Otakar scheitern. Seit Beginn der 1270er-Jahre lehnt sich der innerösterreichische Adel vermehrt gegen ihn auf, und 1273 wird, unter Ausschluss Böhmens, Rudolf von Habsburg zum römisch-deutschen König gewählt. Die daraus resultierenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem der Reichsacht verfallenen Böhmenkönig kulminieren (nach zwischenzeitlichen Friedensverhandlungen in Wien) am 26. August 1278 bei Dürnkrut und Jedenspeigen in der wohl größten Ritterschlacht des Mittelalters. 12.000 Mann sollen die Verluste des besiegten Přemysliden-Heeres betragen haben, ein nicht geringer Teil davon beim Fluchtversuch über die March ertrunken. Der grausam verstümmelte Leichnam Otakars, der im Kampf von persönlichen Feinden regelrecht hin- gerichtet worden war, wird danach im Kreuzgang des Minoritenklosters in Wien öffentlich zur Schau gestellt.

– Wolfgang Maderthaner –


*Die kaiserlose, „schreckliche“ Zeit des sogenannten „Zwischenreiches“ bezeichnet das mit der Absetzung Kaiser Friedrichs II. durch Papst Innozenz IV. und dem damit verbundenen Zusammenbruch der Dynastie der Staufer im Heiligen Römischen Reich einsetzende Machtvakuum. Das Interregnum steht in weiten Teilen des Reiches für einen an Anarchie gemahnenden Zustand der Herrschaftslosigkeit, der erst mit der Königswahl Graf Rudolfs von Habsburg am 1. Oktober 1273 sukzessive ein Ende fi ndet. In seiner weiteren Geschichte entwickelt sich das Reich entlang föderaler Prinzipien, mit einem symbolisch agierenden Scheinmonarchen an seiner Spitze.

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Friedensvertrag zwischen König Rudolf von Habsburg und König Ottokar von Böhmen

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König Rudolf von Habsburg und König Ottokar von Böhmen schließen in Wien einen vorläufigen Frieden. 26. November 1276, Wien.