Kaisersemmel in Hollywood

Dokument 73

Der in Wien geborene amerikanische Stummfilmregisseur und Schauspieler Erich von Stroheim (1885–1957) war berüchtigt für seine Pedanterie: seine Projektion von Heimat findet u.a. Niederschlag in Form von Skizzen von Alltagsgegenständlichem (z.B. eine Wiener Semmel).

Bisweilen führt die Reise ins österreichische Herz des Kinos nach Los Angeles und in den Lesesaal der Schriftgutsammlung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Dort sind zahlreiche Nachlässe von Filmschaffenden aufbewahrt: Pressemappen, Selbstzeugnisse, Manuskripte, Tagebücher, Fotografien, Pressemappen. Quasi das „Nachleben“ des Kinos: die Filmgeschichte über die Anhängsel der Kinoerfahrung, den Schnickschnack und den Abfall erzählt.

Ein Archivstück fesselt meine Aufmerksamkeit: eine Mappe mit Skizzen, die sich im Nachlass des in Wien geborenen, großen amerikanischen Stummfilmregisseurs und Schauspielers Erich von Stroheim (1885–1957) findet. Datiert mit „ca. 1919“ sind es Zeichnungen, die der notorisch pedantische Stroheim für die Ausstattung seines Spielfilmdebüts Blind Husbands angefertigt hatte. Blatt für Blatt, in Buntstift und Bleistift: Details von Tiroler Blumenbeeten, Kandelabern und Kerzenhaltern, die der damals 34-Jährige aus dem Gedächtnis zeichnet.

Diese Skizzen sind Botschaften aus der Fremde, und das in mehrerlei Hinsicht. Zum einen sind sie charakteristisch übergenaue Anweisungen des als „tyrannischer Hunne“ verschrienen Exilwieners an eine Filmindustrie, für die er Zeit seines Lebens ein europäischer Exot bleiben sollte (und diese Rolle gewinnbringend zur Trademark machte). Zum anderen sind die Alltagsgegenstände und Ephemera, die Stroheim skizziert, ihrerseits Botschaften. Sie sind Erinnerungen, die trotz ihrer Detailtreue und Lebendigkeit weniger von einem wahrhaftigen Österreich der Jahrhundertwende denn von einem imaginären Österreich zeugen, wie es nur im Exil entstehen konnte.

Die deutsche Publizistin Frieda Grafe charakterisierte die österreichische Filmgeschichte einmal als Phantasma, als „Film ohne Raum“. Die „authentisch wienerischen“ Filme entstanden, so Grafe, extraterritorial, anderswo: Österreichisches Talent und „Wiener Flair“ verwirklichen sich aufgrund von ethnischen sowie Klassenschranken im Habsburgerreich, der Enge des Rumpfstaates nach 1918, später der Hyperinflation, dem Austrofaschismus und der Vertreibung durch das NS-Regime vor allem im Exil – in Deutschland, Frankreich und den USA.

Erich von Stroheim – geboren in Wien-Neubau als Erich Oswald Stroheim, Sohn eines jüdischen Hutmacherehepaars mit polnisch-tschechischen Wurzeln – erfindet im kalifornischen Exil ein phantasmagorisches imperiales Österreich. Seine Genauigkeit, die sich bis in kleinste grafische Details von Briefmarken, Insignien auf Postkutschen und die Form des Handgebäcks am Wirtshaustisch erstreckt, ist beispielhaft für Wesenszüge des „Österreichischen“ im Weltkino: eine Faszination am Dekor und an der Oberfläche, eine Opulenz von Inszenierung und Ritual, die mit sozialer und gesellschaftlicher Symbolkraft gesättigte Signifikanz von Kleidung, Gestik und Körperhaltung. Stroheim „tränkt“ seine Filme gleichsam mit Milieu. Jahrzehnte, bevor die deutschsprachige Filmkritik sich auf die Spuren des Österreichischen in seinen Filmen machte, erschloss sich der amerikanischen Filmkritik, wie bedeutsam das Ungesagte in Stroheims phantasmatischem Wien ist: Es wird oft bemerkt, mit wie wenig Dialog (in Form von Textinserts) seine Stummfilme auskommen und wie viel an Milieu und Ambiente rein visuell kommuniziert wird.

Des Judentums sowie des bürgerlichen Namens „entledigt“ sich Stroheim vor der Landung 1909 in Ellis Island – sein opulenter Naturalismus spricht jedoch geradezu obsessiv von der kleinbürgerlichen Erfahrung im Wien der Jahrhundertwende, wo jedes Detail mit Bedeutung aufgeladen ist. Österreich, und insbesondere das imperiale „Wien im Film“ des internationalen Kinos, ist weniger konkreter geografischer Ort denn eine Serie symbolträchtiger Zonen oder, wie es der Filmhistoriker Michael Omasta nennt, ein „synästhetisches Traumreservoir“, das die Filmerzählung von Weltregisseuren wie Max Ophüls, Josef von Sternberg, Billy Wilder oder Ernst Lubitsch speist.

Mein Lieblingsdetail ist Blatt Nr. 30: die Bleistiftzeichnung einer Semmel. Billy Wilder hielt schon 1929, in seiner Berliner Zeit als Journalist fest, dass man den Filmen ansieht, wie sich Stroheim vor Sehnsucht nach seiner Heimat verzehrt. Das Handgebäck als geradezu Proust’sches Detail verdeutlicht die von Omasta wie Grafe bezeichnete Synästhesie.

Das „Wienerische“ ist eine Sache von Geschmack, Klangfarbe, Musikalität und Textur. In gewissem Sinne ein Klischee, und ein stilprägendes noch dazu, welches das imperiale Wien nachhaltig auf die Landkarte des Weltkinos setzte. Aber auch emotionaler Anker der Erinnerung, Sehnsuchtsort für all jene, deren Exil nach 1933 bzw. 1938 erzwungen war und die, ebenso wie Stroheim, bisweilen die Sehnsucht verzehrte. Über 500 von ihnen porträtierte das Projekt „Aufbruch ins Ungewisse“ 1993; ein später, aber umso lebendigerer Einblick in das Leben und Schaffen von Altösterreicherinnen und Altösterreichern im Exil. Und auch Stroheims Semmel findet darin ihr Double: in den Erinnerungen der Schauspielerin Vanessa Brown (als Smylla Brind 1928 in Wien geboren), die sich an Nachmittage im kalifornischen Haus Walter Reischs erinnert, mit Gästen wie Marlene Dietrich, Otto Preminger, Billy Wilder sowie an Lisl Reischs herrliche Wiener Bäckereien.

– Michael Loebenstein –

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Die "KAISERL. KÖNIGL. OSTERR. POST"

Dokument 73

Erich von Stroheims Zeichnungen zur Ausstattung von „Blind Husbands“. Ca. 1919, Los Angeles.

Die Kaisersemmel als Requisit

Dokument 73

Mit Liebe zum Detail lässt Erich von Stroheim seine Filme mit Alltagsgegenständen aus seiner alten Heimat ausstatten. Ca. 1919, Los Angeles.