Die Schöne und das Biest

Dokument 76

Die diametralen Lebensentwürfe der Schauspielerin Hedy Lamarr und des „Patronenkönigs“ Fritz Mandl kreuzen sich – kurz. Der frisch Vermählte scheitert 1933 mit dem Versuch, alle Kopien des durch eine Nacktszene seiner jungen Frau skandalisierten Films Ekstase aufzukaufen. Während der umtriebige Waffenhändler zuerst ins Visier der Nazis, dann in jenes der britischen und amerikanischen Geheimdienste gerät und dennoch als erfolgreicher Industrieller in Wien endet, macht Lamarr in den USA Filmkarriere, erfindet ein Leitsystem mit wechselnden Funkfrequenzen und stirbt 2000 verarmt in Florida.

Viel mehr als ein verzücktes Gesicht und einen Mädchenbusen sah man nicht. Dennoch verhalf diese kurze Filmsequenz der 19-jährigen Hedwig Eva Maria Kiesler, Tochter einer gutbürgerlichen jüdischen Familie, zu internationaler Bekanntheit. Sogar der Papst empörte sich. Die erste Nackte des Films sei sie gewesen, hieß es. Was Unsinn ist: Schon vorher gab es in den sogenannten „hochpikanten Herrenfilms“ unbekleidete Tatsachen. Aber der angedeutete Orgasmus des Bürgertöchterls in der tschechisch-österreichischen Produktion von Ekstase erreichte ein internationales Publikum.

Die aufstrebende Darstellerin, die schon als 16-Jährige für Trude Fleischmann den blanken Busen gezeigt hatte, erregte die Aufmerksamkeit von Fritz Mandl, einem Oligarchen und Waffenhändler, der auch im Filmgeschäft mitmischte. Fräulein Kiesler, später als Hedy Lamarr weltberühmt, wurde die Geliebte, später die Ehefrau des „Patronen-Mandl“. Aber dieser hatte seine Finger nicht nur im Filmgeschäft drin, sondern auch in der Politik. Er hatte die faschistischen Heimwehren finanziert, Mussolini war sein Freund. Das hinderte ihn nicht daran, im Abessinienkrieg beide Parteien mit Waffen zu beliefern. Als ihm die Nazis nach 1938 auf den Pelz rückten, bat er den Duce um Hilfe. Doch so weit sind wir noch nicht. Nach der Heirat hielt er seine junge Frau im abgeschiedenen Schwarzau in einem goldenen Käfig; sie war – wie sie selbst schreibt – „Trophäe und Gefangene“ zugleich. Ihr Ehemann verwendete Unsummen darauf, alle Kopien ihres Skandalfilms aufzukaufen. Doch dabei stieß der Kapitalist auf ein Marktgesetz: Je mehr Filme er kaufte, desto teurer wurden die zahlreichen Kopien. Irgendwann gab er auf. Seine Frau wurde des abgeschiedenen Lebens an der Seite des herrschsüchtigen Millionärs jedoch bald überdrüssig und floh erst nach Paris und dann nach London.

Ihr Ehemann hatte indes bald andere Sorgen, denn die Nazis waren auf seine Millionen aus. Was half da seine Versicherung, er sei nicht mosaischer Abstammung? Sein gesetzlicher Vater sei zwar ein Jude, aber er selbst, sagte er, wäre das Produkt eines Seitensprungs seiner Mutter: Sein leiblicher Vater sei ein katholischer Bischof. Mehr als diese Behauptung half ihm freilich die komplizierte Konstruktion seiner Firmen, deren Filetstücke er rechtzeitig in die Schweiz und nach Südamerika ausgelagert hatte. Die Nazis konnten ihm nur das abpressen, was sie in der „Ostmark“ in die Finger bekamen. Mandl ging nach Südamerika und bemühte sich von Argentinien aus um Rüstungsgeschäfte mit Großdeutschland. Aufgrund seiner Umtriebigkeit und seiner Freundschaft mit lateinamerikanischen Militärdiktatoren geriet er jedoch ins Visier der britischen und amerikanischen Geheimdienste. Diese Störung der diskreten Waffengeschäfte war vermutlich der Grund, dass er nach 1945 seine südamerikanischen Prachtvillen wieder in Richtung Österreich verließ.

Hedy Lamarr hatte inzwischen in den USA Filmkarriere gemacht. Doch sie betätigte sich auch als Erfinderin. Sie schlug für die amerikanischen Torpedos ein Leitsystem mit wechselnden Funkfrequenzen vor. Ihr Vorbild waren dabei die verschiedenen Walzen in elektrischen Klavieren. Die US-Marine winkte ab, Erfindungen von Nichtmilitärs begegnete man misstrauisch. Man spottete, Frau Lamarr wolle Pianinos in Torpedos einbauen und riet ihr, ihre ins Auge fallenden Talente anders einzusetzen: zur Werbung für Kriegsanleihen. Was sie auch tat.

Mandl war inzwischen nach Österreich zurückgekehrt. 1955 begrüßte man ihn als Gast bei der Wiedereröffnung des Burgtheaters. Gleichzeitig führte er Verhandlungen über die Rückgabe der von den Russen zerstörten Hirtenberger Patronenfabrik. Widerstand kam von sozialistischen Regierungsmitgliedern. Denen wollte eine Restitution an den Heimwehr- Financier und engen Freund Ernst Rüdiger Starhembergs nicht so recht schmecken. Aber die Sache ging gut für ihn aus, und 1957 bekam der „Patronen-Mandl“ seine Fabrik zurück. Die Ex-Frau Hedy Lamarr hatte er ein wenig aus den Augen verloren. Überdies machte die inzwischen mit der amerikanischen Justiz Bekanntschaft. Zweimal wurde sie nämlich bei Ladendiebstählen verhaftet.

Mandl soll übrigens ein guter Chef gewesen sein, zu dessen Ansehen diverse Sozialleistungen beitrugen. Österreichische Verteidigungsminister folgten seinen Einladungen nach Hirtenberg und vergaben Bundesheeraufträge an ihn. Fritz Mandl war wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 1977 starb der angesehene Industrielle und wurde auf dem Friedhof von Hirtenberg begraben.

Hedy Lamarr hatte 1958 ihren letzten Film gedreht und lebte zurückgezogen. Die einst „schönste Frau der Welt“ war durch missglückte Schönheitsoperationen entstellt. Sie starb im Jahr 2000 in Florida. Ihrem letzten Wunsch entsprechend, wurde ein Teil ihrer Asche im Wienerwald verstreut.

– Kurt Scholz –

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Hedy Lamarr

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Hedy Lamarr im Film Extase. 1932/33