Verstaatlichung

Dokument 91

Das ökonomische Primat nach dem Zweiten Weltkrieg lautet Wiederaufbau und Vollbeschäftigung, erzielbar durch Förderung des technischen Fortschritts und des Konsums sowie durch Regulierung des Finanzsektors. Öffentliche Investitionen und fiskalpolitische Maßnahmen, zusammen mit der Schubkraft des Marshall-Plans und des globalen Wirtschaftsaufschwungs, führten zum „Wirtschaftswunder“ der 50er- und 60er-Jahre.

Nach einer Periode der Rekonstruktion der durch den Krieg schwer zerstörten Infrastruktur der österreichischen Wirtschaft mittels wirtschaftsplanerischer und sozialpartnerschaftlicher Maßnahmen (wie Währungsreform, Lohn-Preis-Abkommen und internationaler Finanzhilfe in Gestalt des European Recovery Program / Marshall-Plan) konnte Österreich bereits 1950 – nach der langen wirtschaftlichen Stagnation in der Zwischenkriegszeit und einer „kolonialistischen“ Kriegsbewirtschaftung – wieder an das Wirtschafts- und Wohlfahrtsniveau der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg anschließen. 1949 hatte das Bruttonationalprodukt erstmals (und dauerhaft) die Werte von 1913 respektive 1937 überschritten. Bloß ein halbes Jahrzehnt später – als die Wiedereröffnungen von Burgtheater (15. Oktober 1955) und Oper (5. November 1955) in glanzvollen und in ihrer Wirkung auf das Ausland genau kalkulierten staatsoffiziösen Festakten den symbolischen Höhepunkt der Wiedergewinnung des Kulturellen anzeigten – befand sich die österreichische Wirtschaft in einer Phase des stürmischen Booms. Die Inflationsgefahr war mittels Geldmengenbeschränkung (Währungsschutzgesetz 1947), Zinsfußerhöhung und der endgültigen Währungsstabilisierung 1952/53 beseitigt worden. Die Verstaatlichung der Grundstoffbzw. Schwerindustrie und der Energieunternehmen sollte nicht nur drohende Enteignungen seitens der Alliierten hintanhalten, sondern auch die Klein- und Mittelbetriebe mit kostengünstigen Waren beliefern und so den Markt ankurbeln. Erste internationale Konjunkturschübe zu Anfang der 1950er-Jahre und der Ausbau der Infrastruktur bewirkten eine spürbare Ankurbelung des Wirtschaftswachstums.

In all dieser Dynamik blieb der Markt jedoch gewissen Steuerungen unterworfen, da die Lenkung der verstaatlichten Industrie wie die Zuteilung öffentlicher Finanzhilfen und Subventionen durch Partei- und Staatseliten quer durch die politischen Lager vorgenommen wurden. Selbst konservative Kräfte betrieben eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik, die sowohl nachfragestimulierend wie angebotsorientiert angelegt war (Raab-Kamitz-Kurs).

Die Wirtschaftspolitik sah ihre Aufgaben in der Herstellung von Vollbeschäftigung, in Maßnahmen zur Beschleunigung des technischen Fortschritts, in der Verminderung der kollektiven Risiken im Finanzsektor. Die 1950er-Jahre waren daher durch eine Politik der öffentlichen Investitionen, der Förderung von Kreditpolitik und Exportwirtschaft bei gleichzeitiger Lohnzurückhaltung gekennzeichnet. Erstmals legte der österreichische Staat in größerem Umfang mehrjährige Investitionsprogramme auf, um die Konjunktur zu beschleunigen und auf Vollbeschäftigungsniveau zu stabilisieren. Flankierende Steuerreformen hatten das Ziel, die kleineren Einkommen und damit die Konsumfähigkeit breiter Arbeiternehmerschichten anzuheben und den Kleinbetrieben durch die Senkung der Gewerbesteuer höhere Gewinnspannen einzuräumen. In der Zeit zwischen 1953 und 1970 lag das durchschnittliche jährliche Bruttonationalprodukt Österreichs deutlich über dem Schnitt der europäischen OECD-Staaten und lieferte so die Grundlage für das viel gepriesene Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit: industrielle Massenproduktion dauerhafter Konsumgüter (durch die Verstaatlichte Industrie und das mittelständische Gewerbe), Massenkonsum dieser Güter durch die Mittelklasse und die (nunmehr) einkommensstärkeren Facharbeiterhaushalte, erhöhter Energiekonsum und Mobilisierung der Gesellschaft (Autos und Autobahnen), Industrialisierung der Lebensmittelproduktion, eine keynesianische Fiskalpolitik zur Erhaltung der Vollbeschäftigung und Finanzierung des Sozialstaates, eine Ausbalancierung der Interessen von Kapital und Arbeit durch Korporatismus (Sozialpartnerschaft).

Gleichwohl war dieser außergewöhnliche Prozess ökonomischer Dynamik geopolitisch unterschiedlich gewichtet. Die im Wesentlichen bereits in der Nazi-Zeit grundgelegte Schwerpunktverlagerung der Industrie in den Westen des Landes erfuhr in den ersten Nachkriegsjahren eine merkliche Akzentuierung. Das industrielle Produktions- und Leistungsvermögens Wiens und Niederösterreichs – wo durch Kriegseinwirkungen und Nachkriegsdemontagen bereits 60 Prozent der Kapazität im Eisen- und Stahlbau sowie 70 Prozent in der Maschinenbauindustrie verloren gegangen waren – wurde dadurch weiter verringert. Zum anderen bildeten die mehr oder minder exterritorialen USIA-Betriebe im russisch besetzen Teil des Landes de facto einen Staat in der Stadt und waren der Wirtschaft bis 1955 entzogen. Zur organisatorischen Zusammenfassung der als deutsches Eigentum requirierten Betriebe hatten die russischen Besatzungsbehörden im Zusammenhang mit dem ersten Verstaatlichungsgesetz (26. Juli 1946) USIA und sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) gegründet. In Wien umfasste der sowjetische Industriekomplex mehr als ein Fünftel der Betriebe der Stadt, in allen Kategorien, Branchen und Größen, von Großbetrieben der elektrotechnischen Industrie, des Maschinen- und Lokomotivbaus bis hin zu kleinen Verkaufsläden. Sie erachteten sich als außerhalb der österreichischen Gesetze stehend, zahlten keine Steuern und blieben vielfach die Sozialversicherungsbeiträge schuldig. Ihr eigentlich negativer Effekt aber drückte sich im Entfall dringend benötigter Exporterlöse aus, wie auch in der durch die sowjetische Präsenz bis 1955 gegebenen psychologischen Investitionshemmung. So schrieb die Verteilung der Marshall-Plan-Gelder die Bevorzugung des Westens, der 81 Prozent dieser Mittel für sich buchen konnte, fort, während auf die traditionellen Industriestandorte Wien und Niederösterreich lediglich 19 Prozent entfielen. Finanziert wurden, von marginalen Ausnahmen abgesehen, lediglich Investitionen in der französischen, englischen und natürlich in der US-amerikanischen Zone.

– Wolfgang Maderthaner –

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