"Die Suche nach dem Österreichischen führt uns unweigerlich ins Archiv“
Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs
Kontinent am Abgrund
Dokument 41
Zwei Jahrzehnte lang drückt Napoleon Bonaparte – General, Konsul, Kaiser – ganz Europa seinen Stempel auf: Er installiert das bürgerliche Recht und revolutioniert die Kriegsführung. Die zwei Jahrzehnte napoleonischer Kriege allerdings und die Niederlage des „Erben der Revolution“ am 18. Juni 1815 in Waterloo machen eine Neuordnung Europas unumgänglich.
Die Französische Revolution stellte dem feudal-absolutistischen europäischen Machtgefüge das aus der Aufklärungsphilosophie entwickelte bürgerliche Naturrecht entgegen; die darauf basierenden Forderungen nach einer gänzlichen Neugestaltung der Gesellschaft waren fundamental und von eruptiver Gewalt. Die Menschen- und Bürgerrechte proklamierten die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Freiheit des Individuums, insbesondere Glaubens- und Gewissensfreiheit, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit. Die Gesetzgebung sollte einer gewählten Volksvertretung überantwortet, Gutsherrschaft und Zünfte sollten aufgehoben, die Privilegien des Adels und der Kirche für nichtig erklärt werden. Im Namen dieses Rechts führte das revolutionäre Frankreich den Krieg gegen das Ancien Régime, und die überkommene gesellschaftliche Ordnung wurde hinfällig: In den Napoleonischen Kriegen zerfällt das Heilige Römische Reich, die aus der Revolution hervorgegangene bürgerliche Rechtsordnung wird europaweit installiert.
Napoleon, der im Gefolge des Staatsstreichs vom 18. Brumaire (9. November) 1799 zum Ersten Konsul der Republik aufgestiegene „Erbe der Revolution“, krönte sich 1804 selbst zum französischen Kaiser, war ab 1805 König von Italien und von 1806 bis 1813 Protektor des Rheinbundes. Damit hatte das Heilige Römische Reich (zu diesem Zeitpunkt, gemäß Metternichs berühmtem Diktum, weder heilig, noch römisch, noch Reich) zu existieren aufgehört. Napoleon ist zweifellos eine der überragenden Figuren der Weltgeschichte, Goethe bezeichnete ihn als „der größte Verstand, den die Welt je gesehen“. Er gab den Anstoß zu einem nicht mehr umkehrbaren Modernisierungsschub, etablierte den aus der Philosophie der Aufklärung hervorgegangenen Code civil, revolutionierte im Kampf gegen das Ancien Régime die Kriegsführung. Sein in jeder Hinsicht überdehnter Russlandfeldzug wurde ihm schließlich zum Verhängnis – ein Weg, der über die Völkerschlacht bei Leipzig, das Exil in Elba und die erneute Herrschaft der „Hundert Tage“ in das historische Desaster von Waterloo und die Isolierung des Exils auf St. Helena führte.
Mit der schließlichen militärischen Niederlage des als unbesiegbar geltenden Napoleon setzte allerdings schließlich erneut eine umfassende Restauration ein, wenn auch keinesfalls eine simple Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Es galt, die Verheerungen und Verwüstungen eines zwei Jahrzehnte währenden Kriegs, der Europa an den Rand der Selbstzerfleischung geführt hatte, zu bewältigen. Denn eine weitere kriegerische Auseinandersetzung auf dem Kontinent hätte mit großer Wahrscheinlichkeit in das Desaster einer gesamteuropäischen Revolution nach französischem Modell gemündet; die Schaffung einer möglichst stabilen Friedensordnung stellte sich demgemäß mit der höchsten Dringlichkeit.
Der Wiener Kongress der Jahre 1814/15 [Die Erfindung Europas] schuf, in Reaktion auf die dramatischen Erschütterungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege, ein hochkomplexes, bis ins letzte Detail ausbalanciertes, diplomatisch akribisch abgestimmtes europäisches Staatensystem. Ziel dieser größten diplomatischen Versammlung aller Zeiten, ein wahrhaft welthistorisches Ereignis, war die Neuordnung Europas gemäß den Prinzipien eines Gleichgewichts der Kräfte und der unhinterfragten monarchischen Legitimität. Damit wurde der Grundstein für eine stabile, langfristig währende europäische Friedenskonstellation gelegt – wenn auch um den Preis innerer polizeistaatlicher Repression und einer Hegemonie Russlands über Ost- und Südosteuropa. Bis hin zu den Balkankriegen der Jahre 1912–1914 – ihrerseits das Vorspiel eines ersten globalen Vernichtungskriegs – blieben die militärischen Konflikte das gesamte 19. Jahrhundert über weitgehend begrenzt und von sozusagen bloß regionaler Bedeutung. Der Wiener Kongress entwickelte eine Art des Krisenmanagements und der Friedenssicherung, die – nicht ohne Berechtigung – als historisches Vorbild für die Institutionen der Europäischen Union gelten kann.
– Wolfgang Maderthaner –
Napoleon an Franz
Dokument 41
Schreiben Napoleons an Franz I., Kaiser von Österreich. 23. September 1804, Mainz.
Dokument 41
AT-OeStA/HHStA HausA Ministerium des k.k. Hauses TW 2 (fol. 169)
Napoleon an Franz
Dokument 41
Mainz, 1804 September 23
Monsieur Mon f[r]ere je suis sensible aux choses aimables contenuesdans la lettre de Votre Majesté. Je la prie de recevoir Mes felicitations sur l’éréction de sa maison en maison imperiale héréditaire d’autriche. - Un long regne à votre Majesté, une paix perpétuelle entre nous, qu’elle permette que J’y ajoute tout ce qui peut contribuer au bonheur de Sa famille, sont des évenements qui ne seront jamais etrangers à mon propre bienêtre. Mais surtout que votre Majesté ne conçoive jamais de doute sur mon desir sincere de maintenir entre nos deux empires la meilleur[e] harmonie non plus que sur Mes sentiments d’estime, d’amitie et de haute consideration.
Monsieur mon f[r]ere
De Votre Majesté imperiale
Le bon f[r]ereNapoleon
Mayance le 1 Vendemi [aire] an 13
Napoleon an Franz
Dokument 41
Mein Herr Bruder! Ich weiß die im Brief Eurer Majestät enthaltenen Liebenswürdigkeiten zu schätzen. Ich bitte sie, Meine Glückwünsche zur Erhebung ihres Hauses in das erbliche Kaisertum Österreich entgegenzunehmen. - Ich wünsche eine lange Regierungszeit für eure Majestät, und ewigen Frieden zwischen uns, [und] sie möge erlauben, dass Ich hinzufüge, dass alles, was zum Glück Ihrer Familie beitragen kann, Ereignisse seien, die niemals meinem eigenen Wohlergehen fremd sein werden. Aber vor allem möge Eure Majestät niemals Zweifel an meinem ehrlichen Wunsch hegen, die beste Harmonie zwischen unseren beiden Reichen aufrecht zu erhalten - ebenso wenig wie an meinen Gefühlen der Wertschätzung, Freundschaft und Hochachtung.
Meinem Herrn Bruder
Von Eurer kaiserlichen Majestät,
Der gute Bruder
Napoleon
Mainz, am 1. Vendemi [aire] im Jahr 13
„Völkerschlacht“ bei Leipzig
Dokument 41
Oktober 1813, Wien. Eigenhändig gefertigte Skizze von Klemens Fürst Metternich zur „Aufstellung der Armeen“ in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig.
Dokument 41
AT-OeStA/HHStA Vorträge 194 (Konv. 1813 X-XII, fol. 30)