Der Eisenschlitzer

Dokument 67

Johann „Schani“ Breitwieser (1891–1919) startet „aus Not“ eine fulminante Einbruchsserie, die zwar nach obligatorischem „Showdown“ und 40.000-köpfigem Trauerzug anlässlich seiner Bestattung einen kriminalistischen Schluss-, aber keinesfalls elegischen Endpunkt findet.

Wortgewaltig, elegant und konzis entwirft Alfred Polgar das Porträt eines idealtypischen Heldenlebens aus dem Ersten Weltkrieg. Niemals habe sich dieser wahrhafte Kriegsmann ergeben, immer wieder sich auch aus verzweifelten Situationen herausgeschossen, die anstürmenden Feinde stets zurückgeschlagen – ein Wunder an Tapferkeit. Allein: Polgar berichtet vom Glück und Ende des Deserteurs und Wiener Unterweltkapos Johann „Schani“ Breitwieser, „unser tüchtigster, energischster, erfolgreichster Einbrecher. Wir hatten keinen besseren.“ Der vielfach vorbestrafte Breitwieser war an die Ostfront eingezogen worden und hatte nach kurzer Zeit erfolgreich einen gänzlichen psychischen Zusammenbruch simuliert. Die Diagnose lautete auf Dementia praecox und erklärte ihn für „irrenanstaltsbedürftig“; am 16. Juni 1917 wurde er am Steinhof eingeliefert, wo ihm tags darauf die Flucht gelang. Kraft seiner überlegenen Intelligenz, so Polgar, sei es ihm leichtgefallen, schwachsinnig zu erscheinen. Breitwieser begann nach seiner Flucht mit einer in Umfang und zeitlicher Ausdehnung einzigartigen Einbruchstour, die bis zum 6. April 1918 andauern sollte, als er nach heftiger Gegenwehr auf der Schmelz [Der Mann ohne Eigenschaften] gefangen genommen wurde, wenig später aber erneut ausbrach.

Eine Vielzahl von populären Mythen und volkstümlichen Legenden rankt sich um die Person Breitwiesers, eines konsequenten Modernisierers und Technikfanatikers, der sein Gewerbe revolutionierte und es zugleich verstand, im Stil eines Sozialrebellen zu agieren. Der Schränker und „Eisenschlitzer“, „König von Meidling“ und „Robin Hood von Wien“ galt nicht nur der vorstädtischen Elendsbevölkerung als ein Guter und Gerechter; selbst ein Egon Erwin Kisch sah in ihm in einem bewegten Nachruf einen „Mann der Tat, des Mutes, des Ernstes und der Intelligenz“.

Breitwieser wurde als sechstes von insgesamt 16 Kindern einer „hundearmen“ Familie 1891 in Wien Meidling, Breitenfurter Straße 13, geboren und wuchs als typisches Straßenkind auf. Als Angeklagter vor Gericht erschien er erstmals 1906, die richterliche Frage nach dem Motiv seiner Tat beantwortete er mit einem knappen: „Aus Not.“ Als eine frühe Beziehung zu einer Nobelprostituierten (gleich ihm vorstädtischer Herkunft und aus ähnlichem sozialen Milieu) fehlschlägt, beginnt er endgültig seine Karriere als Profi. Es ist ein Leben, das ihn zwischen Einbruchsdiebstählen, Flucht und Gefängnis pendeln lässt und ihn in den romantischen Rang eines heldenhaften vorstädtischen Outlaws erheben wird.

Breitwieser „arbeitete“ in Wien und Umgebung professionell und rastlos, brutal und in seiner Gefährlichkeit unberechenbar, zugleich humorvoll, ironisch und von „urwienerischem“ Gemüt. Und er lässt stets einen – wenn auch jeweils geringen – Anteil aus seinen Beutezügen unter der Armutsbevölkerung seines Heimatbezirkes verteilen. In den letzten beiden Kriegsjahren, seiner eigentlich großen Zeit, richten sich seine Einbruchsserien beinahe ausschließlich gegen Konzerne und Aktiengesellschaften. Seinen letzten und spektakulärsten Coup landet er mit einem Einbruch in die Hirtenberger Waffen- und Munitionsfabrik im Jänner 1919, bei dem er einen Betrag von einer halben Million Goldkronen erbeutete. Wenige Monate später wurde er im nordwestlich von Wien gelegenen Marktflecken St. Andrä-Wördern von der Polizei erschossen. Sein Begräbnis am Meidlinger Friedhof geriet zu einer wohl einzig- artigen, demonstrativen Manifestation der Vorstadt. An die 40.000 Menschen folgten (nach zeitgenössischen Schätzungen) dem Sarg, den Trauerchoral sang ein Quartett der Hofoper.

Als die Polizei nach ihrem Einsatz eine Hausdurchsuchung in Breitwiesers Anwesen vornahm, förderte sie Bemerkenswertes zutage. Im fensterlosen Kellergeschoß stieß man auf ein vollkommen ausgestattetes Laboratorium moderner Technologie. Fünf mächtige Kassenschränke dienten der wissenschaftlichen Versuchsarbeit, diverse Stahl- und Eisensorten der Materialprüfung; ein zur Gänze aufmontierter und gebrauchsbereiter Schweißapparat fand sich ebenso wie Maschinen, Drehbänke, eine Feld- schmiede, Dietriche, Brecheisen und Bohrer für den Handbetrieb mit Schwachstrom, das meiste davon aus eigener Fabrikation. Daneben hatte Breitwieser die handschriftlichen, akribisch ausgeführten Aufzeichnungen über seine jeweiligen Versuche verwahrt und verfügte über eine technische Bibliothek, die durchaus auf der Höhe ihrer Zeit stand.

Noch Jahre nachdem Breitwieser, „als Einbrecher und brav“, wie Polgar schreibt, „zu Gott“ eingegangen war, konnte man seine letzte Ruhestätte stets mit frischem Blumen- schmuck überhäuft vorfinden; und alljährlich am Allerheiligentag verwandelte sie sich förmlich in eine Kultstätte.

– Wolfgang Maderthaner –

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Johann Breitwieser

Dokument 67

7. April 1918, Wien. Polizeifoto des „Einbrecherkönigs“ Johann „Schani“ Breitwieser (auch: Braitwieser).

Johann Breitwiesers Villa

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1919, St. Andrä-Wördern. Im Keller befand sich sein Laboratorium für technische Versuche.

Anklageschrift Johann Breitwieser

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Die 27-seitige Anklageschrift gegen den berüchtigten Einbrecher Johann Breitwieser umfasst einen Mordversuch, wiederholte Desertion und eine Vielzahl an Einbruchsdiebstählen. 23. Dezember 1918, Wien.

Amtliche Fahndung

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100 Kronen Belohnung für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des "Einbrecherkönigs" führen.