Captain Kleinschmidt

Dokument 64

Eine eigentümliche Melange von Abscheu und Faszination im ästhetisiert-fotografischen Blickwinkel: die „Killing Fields“ des Ersten Weltkriegs und ein Abenteurer im Auftrag der österreichisch-ungarischen Militärpropaganda.

In einer intellektuellen Parallelaktion ohnegleichen, die sich die durchgängige Kriegsbegeisterung der Kulturschaffenden zunutze machte, versammelte das Kriegsministerium zu Zwecken der Massenpropaganda Literaten, bildende Künstler, Filmemacher, Fotografen etc. in einem sogenannten „Kriegspressequartier“ (KPQ). Herausragende Exponenten der Wiener literarischen Moderne fungierten als „Kollaborateure“ (Karl Kraus) der Kriegsanstrengung der Mittelmächte, befeuerten jenen patriotischen Taumel des August 1914, der mit einer chauvinistischen Propagandawelle sondergleichen, einem Feldzug der Worte und der Schrift eingesetzt hatte. Große Autoren wie Hofmannsthal, Bahr, Schaukal, Roda Roda, Salten et al. sollten sich so als „Wortemacher“ (Franz Werfel) der Kriegsmaschinerie erweisen.

Besonderes Augenmerk wurde auf die avanciert modernen und für die Zwecke der Massenpropaganda wohl geeignetsten Medien, nämlich Film und Fotografie, gelegt. Die in offiziellem Auftrag von Bildagenturen oder professionellen Kriegsberichterstattern angefertigten Kriegsgenrebilder und Frontreportagen sind oftmals von erstaunlich hoher formaler wie technischer Qualität und fanden (nach Prüfung durch die Zensur) ihre massenhafte Verbreitung in Wochenillustrierten und eigens eingerichteten Propagandablättern. Es galt, vermittels bildlicher Repräsentation der Kampfhandlungen und des soldatischen Alltags die Schrecken und Gräuel des modernen Maschinenkriegs zu ästhetisieren; dieserart sollte ein anschauliches, nachvollziehbares, von Männlichkeitskult und Todesverachtung bestimmtes Heldennarrativ kommuniziert werden. Im Sinne einer „Hebung der Kriegsfreudigkeit“ (Feldmarschallleutnant Maximilian Ritter von Hoen, bis 1917 Chef des KPQ) war dem „Laufbild“ eine signifikante Rolle zugedacht. Das KPQ entsandte „Kinoexposituren“ an die Front; die Filmtrupps hatten die „Heimatfront“ wie auch das neutrale Ausland mit Aktualitäten (und später auch mit eigens produzierten Spielfilmen) zu versorgen. Die bemerkenswertesten Arbeiten, bei denen es um die ambitionierte, zur damaligen Zeit technisch kaum zu bewältigende Herstellung von authentischen Dokus ging, entstanden in der zeitweiligen und alles andere als friktionsfreien Kooperation mit zwei amerikanischen „Kinooperateuren“: Captain Franz Emil Kleinschmidt (zur deutsch-österreichischen Galizien-Offensive 1915) und Albert K. Dawson (zur Belagerung Przemys ́ls).

Kleinschmidt – Goldgräber, Polarforscher und Großwildjäger – war eine exzentrische Abenteurernatur. 1911 gelang ihm eine Pionierleistung: Er organisierte und leitete die Expedition des Carnegie Pittsburgh Museums nach Alaska und Sibirien und legte dazu die erste Filmdokumentation in Feature-Länge überhaupt vor. Seit Februar 1915 gehörte er zum Personalstand der Expositur Triest des KPQ, eine vertrauliche geheimdienstliche Einschätzung bescheinigt Kleinschmidt außergewöhnliche Geschmeidigkeit im Umgang mit militärischen Autoritäten. Auf diese Weise entstand im April und Mai 1915 ein Fotoalbum

„Bei der Vierten Armee“ über den österreichischen Durchbruch bei Gorlice-Tarnów; und neben den üblichen, KPQ-kompatiblen Darstellungen des Soldatenalltags und der modernen Kriegstechnologie tauchen hier auch immens verstörende, schockierende Bilder auf, fotografische „Schlachtfeldbegehungen“, aufgenommen im unmittelbaren Gefolge der mörderischen Konfrontationen. Eine eigenartige Aura umgibt diese Fotos. In ihrer ästhetisierung der Vernichtung, in ihrem Festhalten des im ersten modernen Massenkrieg zum Ausdruck kommenden „eigentlich Unfassbaren“ geht von ihnen eine Faszination aus, der sich auch der kritische Blick kaum zu entziehen vermag. Gerade dadurch aber verweisen sie auf Dimensionen des Abgründigen, die auf konventionellem Wege nur schwer zu erschließen sind.

In Diensten des KPQ blieb Kleinschmidt auch weiterhin hoch aktiv. Er begleitete den Vormarsch der neuformierten Dritten Armee unter Feldmarschall Kövess auf Belgrad und deren weiteren Vorstoß nach Albanien, machte Aufnahmen im Kriegshafen von Cattaro und dokumentierte die letalen Kämpfe um Görz im Rahmen der vierten Isonzo-Schlacht, u.a. von einem Bombenflugzeug L 42 aus, das seinerseits bis nach Venedig und Ferrara vordrang. Seine Umtriebigkeit und wohl auch die Tatsache, dass er sich den Rang eines Captains selbst angemaßt hatte, führen schließlich zu nachrichtendienstlichen Erhebungen, die allerdings weitgehend ohne Folgen bleiben. Im Februar 1916 finden wir Kleinschmidt zurück in New York, wo er aus dem mitgebrachten Material die sensationell anmutende Doku War on Three Fronts zusammenstellt. Er begibt sich auf eine US-weite Promotiontour, die ihn nach Seattle, Chicago und Los Angeles führt. Hollywood wird aufmerksam, und Selznick Pictures erwirbt die gesamtnationalen Aufführungsrechte – unglücklicherweise zu einem Zeitpunkt, da die USA auf Seiten der Entente in den Weltkrieg eintreten. Einmal mehr werden Kleinschmidt und seine Arbeit Gegenstand geheimdienstlicher Investigation, die allerdings auch in diesem Fall außer einem eher kurzen Arrest wegen unerlaubten Waffenbesitzes wenig erbringt. Seine Karriere als Filmemacher allerdings ist unwiderruflich zu Ende.

Mit verzweifelter Vehemenz und weitgehend erfolglos versucht Kleinschmidt nach dem Krieg und während der Großen Depression an seine früheren Projekte anzuschließen. Verarmt und völlig mittellos stirbt er schließlich am 25. März 1949 im Good Samaritan Hospital in L.A.

– Wolfgang Maderthaner –

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„Bei der vierten Armee - 1. April bis 15. Mai“

Dokument 64

Fotoserie des amerikanischen Fotografen und Kriegs-Kinooperateurs Franz E. Kleinschmidt nach der Durchbruchschlacht bei Gorlice-Tarnów. 4. Mai 1915, Ostfront.

"Offene Order"

Dokument 64

Passierschein für Franz E. Kleinschmidt für die Strecke Nabrežina (Triest) und Kostanjevica. 6. Dezember 1915, Südfront.