"Adolf Hitler Universität"

Dokument 84

Antrag abgelehnt: Die Reichskanzlei beantwortet das Ansinnen der Universität Graz auf Umbenennung in „Adolf Hitler Universität“ abschlägig. Vorauseilender Gehorsam gegenüber dem „Führer“ war zwar kein Privileg des Akademischen Senats in der „Stadt der Volkserhebung“, gibt aber Einblick in autoritätsgläubige, antidemokratische Geisteshaltungen mit Langzeitwirkung.

Alte, ehrwürdige und große Universitäten sind meist behäbige Tanker, die nur langsam auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Nicht so die Karl-Franzens-Universität Graz im März 1938. Es war noch keine Woche seit der Machtübernahme des Nationalsozialismus vergangen, als der Akademische Senat am 17. März 1938 zusammentrat und folgenschwere Beschlüsse fasste: „[…] es wurde ein Gesuch an den Führer und Reichskanzler gestellt, die Schirmherrschaft über die Universität Graz zu übernehmen und gleichzeitig zu gestatten, dass diese den Titel ‚Adolf Hitler Universität‘ führen darf. Dr. Alfons Gorbach und Dr. Karl Maria Stepan sollte das Doktorat aberkannt werden.“

In beiden Fällen musste Rektor Josef Dobretsberger, ein angesehener Jurist und Kelsen- Schüler, als Berichterstatter fungieren. Dobretsberger war ab 1935 Sozialminister im Ständestaat gewesen und hatte sich um einen Ausgleich mit den im Februar 1934 geschlagenen Sozialdemokraten bemüht. Er trat als Rektor nach dieser Senatssitzung zurück und emigrierte. Die Emigrationsjahre verbrachte er als Professor in Istanbul und Kairo. Nach 1945 kehrte er zurück und wurde 1946 erneut zum Rektor gewählt. Konflikte mit „seiner“ ÖVP führten dazu, dass sich seine weitere politische Karriere in der Nähe zur KPÖ vollzog.

Obwohl beim erstgenannten Antrag der Vermerk „vertagt“ zu finden ist, leitete Prorektor Adolf Zauner, ein Romanist, den Antrag weiter. Formal war dies deshalb möglich, weil es keine weiteren Senatssitzungen an der Universität Graz in den nächsten Jahren mehr gab und der Rektor ja zurückgetreten war. Im September 1938 erhielt die Universität dann aber ein Schreiben, in dem die Kanzlei des „Führers“ den Antrag ablehnte. Immerhin hatte man alle anderen Universitäten überflügelt und als erste diesen Antrag auf Umbenennung gestellt. Im Bemühen, die Universität „judenfrei“ zu machen, hatte ja die Technische Universität Graz knapp die Nase vorne. Als Stadt war Graz, der der nationalsozialistische Ehrentitel „Stadt der Volkserhebung“ verliehen wurde, ohnehin an der Spitze der österreichischen Städte im Ranking der Loyalitätsbekundungen an die neuen Machthaber.

Karl Maria Stepan und Alfons Gorbach, um deren Doktortitel es in dieser letzten Senatssitzung ebenfalls ging, fanden sich am sogenannten „Prominententransport“ nach Dachau wieder. Stepan hatte die vaterländische Front mit aufgebaut und wurde 1934 als Landeshauptmann der Steiermark eingesetzt. Gorbach war unter Stepan steirischer Landesrat, seine große politische Karriere erfolgte jedoch erst in der zweiten Republik, wo er es bis zum Bundeskanzler brachte. Gorbach, damals in nicht ganz so mächtiger Position wie Stepan, wurde seinen Titel umgehend, also schon in der Senatssitzung vom 17. März 1938, los, bei Stepan führte die Vertagung dazu, dass es nicht mehr zur Beschlussfassung kommen konnte.

Martin Pollack hat in seinem bewegenden Buch „Der Tote im Bunker“ am Beispiel seines Vaters das politische Milieu an den steirischen Universitäten geschildert. Hier, an der „Grenzfeste deutscher Wissenschaft“, wirkten einerseits Nobelpreisträger wie Erwin Schrödinger, Viktor F. Hess oder Otto Loewi, anderseits war nicht nur das Studierendenmilieu schon früh deutschnational bis nationalsozialistisch dominiert, was auch durch die Lage an einer vermeintlich umkämpften Sprachgrenze zu tun hatte. Eine Universität, an der Alexander Rollett, Ludwig Boltzmann oder Fritz Pregl Rektoren waren, die Nobelpreisträger anzog und deren internationaler Ruf beachtlich war, an der David Herzog lehrte, der gleichzeitig Rabbiner für Steiermark und Kärnten war, hatte also eine janusköpfige andere Seite. Lehrende und Studierende waren in beträchtlichem Ausmaß offen für das nationalsozialistische Gedankengut. Der März 1938 öffnete ihnen die Türen zur Ausübung der Macht auf akademischem Boden mit all den schrecklichen Folgen für die jüdischen Lehrenden und Studierenden und für alle Gegner des Nationalsozialismus auf allen Ebenen der altehrwürdigen Universität, die damals immerhin schon auf eine Geschichte von über 350 Jahren zurückblicken konnte.

Universitäten sind immer wieder Seismographen der gesellschaftlichen Entwicklungen. An ihnen wird vorausgedacht, an ihnen studieren junge Menschen, die neugierig sind und offen dafür, sich auf Neuland zu wagen. Das ging historisch mehr als einmal, besonders dramatisch aber 1938, in die falsche Richtung. Es ist daher auch kein Zufall, dass Graz als Standort für die einzige SS-Akademie für Ärzte ausgewählt wurde. Deren Absolventen feierten noch lange Jahre in der Zweiten Republik Wiedersehenstreffen an der alten Ausbildungsstätte. Der braune Spuk war mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft im Grazer akademischen Milieu noch lange nicht vorbei.

– Helmut Konrad –

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Senats­sitzungs­protokoll 17 März 1938

Dokument 84

Im Senatssitzungsprotokoll der Karl-Franzens-Universität ist vermerkt: „Bezüglich Dr. Stepan beschließt der Senat die Vertagung zwecks Pflege restlicher Erhebungen über die Tatbestände. Die Aberkennung des Doktorates des Dr. Alfons Gorbach wird mit allen Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen beschlossen.“ Die Entscheidung über die Umbenennung der Hochschule in „Adolf Hitler Universität“ wird vertagt. 17. März 1938, Graz.