Türkengefahr

Dokument 15

Süleyman I. – „der Prächtige“ – ante portas: Mit der ersten Türkenbelagerung Wiens (1529) einher geht nicht nur die größte Ausdehnung des Osmanischen Reichs, sondern auch die „Osterweiterung“ des habsburgischen Herrschaftsanspruchs und somit Keim der späteren Doppelmonarchie.

Dem komplexen zentraleuropäischen Gebilde „österreich“ ist im Verlauf seines histori- schen Werdens eine doppelte Funktion zugefallen. Zunächst ist dies die Schaffung eines einheitlichen und starken Reichsverbandes, der zur Grundlage der deutschen Königsmacht werden konnte. Doch eine zweite, gewaltige Bestimmung erwächst ihm aus dem Kampf gegen die scheinbar unaufhaltsame Expansion des Osmanischen Imperiums – sie wird seine Kräfte dauerhaft binden. Unter den Vorzeichen und angesichts des Drucks der per- manenten türkischen Invasionsgefahr ist die Vereinigung der österreichischen Länder eine realpolitische, zweckbestimmte Notwendigkeit [Die Habsburg Connection ­­- plus, ultra]. Als der Jagellone Lajos II. 1526 in der Schlacht von Mohács fällt, versammelt Habsburg in seinem Herrschaftsbereich sowohl die deutschen Fürstentümer der Alpenländer als auch Böhmen und Ungarn – Letzteres zunächst allerdings eher symbolisch. Denn nur drei Jahre später stehen die Türken erstmals, wenn auch erfolglos, vor Wien; zur Mitte des Jahrhunderts beherrschen sie Zentralungarn und haben im Osten des Landes (Transsylvanien) den Woiwoden von Siebenbürgen als Vasall des Sultans installiert. Unter Süleyman I., auch der „Prächtige“ genannt, hat das Sultanat seine Machtsphäre weit in den zentraleuropäischen Raum ausgedehnt.

Und doch beginnt mit dem in Spanien erzogenen Ferdinand I. ein künftiger habsburgischer Herrschaftskomplex deutliche Konturen anzunehmen. Paradoxerweise ist es der militärische Erfolg der osmanischen Truppen, die omnipräsente „Türkengefahr“, die (nebst einer strategisch wohlkalkulierten Heiratspolitik) den Anspruch Habsburgs auf die vakanten Wahl- monarchien Böhmen und Ungarn begründet – ein mit den Ständen und regionalen Eliten mühevoll abgestimmter Herrschaftsanspruch. In Ungarn etwa, wo ihm in dem siebenbürgischen Fürsten Jan Zápolya ein mächtiger Gegenspieler erwächst, sieht sich Ferdinand in eine jahrzehntelange, zermürbende kriegerische Auseinandersetzung mit einer hoch entwickelten osmanischen Militärmaschinerie verstrickt. Die nur von ebenso kurzen wie labilen Perioden des Friedens unterbrochenen Kämpfe, die am vorerst heftigsten 1551 bis 1562 und dann wieder im Dreizehnjährigen Krieg ab 1593 toben, werden die ungarische Tiefebene verheeren, die Landwirtschaft vernichten und die magyarische Bauernschaft in Abhängigkeit und Fron hinterlassen. Ein 1562 geschlossener – allerdings frühzeitig gebro- chener – Waffenstillstand verpflichtet Ferdinand zur Entrichtung gewaltiger Tributzahlungen und zum Verzicht auf weitere Herrschaftsambitionen in Transsylvanien.

Was auch immer die inneren wie äußeren Grenzen und Beschränkungen gewesen sein mögen – der „Erwerb“ Böhmens und Ungarns bedeutete einen enormen Machtzuwachs und Prestigegewinn des Hauses Habsburg, das durch die Vereinigung seiner alpenländischen Domänen ohnedies bereits das mächtigste Fürstengeschlecht des Reiches war.

Zur weiteren Absicherung seiner landesfürstlichen Autorität baute Ferdinand kontinuierlich eine effiziente Bürokratie auf. Im Sinne der Dynastie entstand so eine Behördenorganisation, die zur Basis künftiger Verwaltungspraxis werden sollte, darunter Hofkammer und Hofkanzlei. Als die wichtigste Gründung sollte sich aber der 1556 als oberste Militärbehörde installierte, permanente Hofkriegsrat erweisen, dessen Aufgabe es war, die militärischen Operationen gegen das Osmanische Reich effizient zu koordinieren. Schritt für Schritt wurde die sogenannte „Militärgrenze“ mit Selbstverwaltung und eigener Gerichts- barkeit eingerichtet und mit freien, den Grundherren nicht verpflichteten Wehrbauern vornehmlich aus Serbien, Bosnien und der Walachei besiedelt, die sich in Status und Selbstwert von der geknechteten Masse der hörigen, tribut- und robotpflichtigen Reâyâ* grundlegend abhoben. Die militarisierte Zone umfasste zunächst das kroatische, später das slawonische, Banater und siebenbürgische Grenzgebiet und erstreckte sich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung Mitte des 19. Jahrhunderts über eine Länge von 1.850 Kilo- metern und eine Fläche von 50.000 Quadratkilometern.

* Reâyâ (serbokroatisch: Rajah) ist ein Sammelbegriff für alle abgabepflichtigen Untertanen im osmanischen Feudalsystem, vornehmlich Nomaden, Bauern, Handwerker und kleine Handelstreibende. Anwendung findet der Begriff im Besonderen auch auf die hörigen slawischen Bauern in Serbien, deren materielles und kulturelles Elend geradezu sprichwörtlich wurde. Im Zuge des Bündnisses Josephs II. mit Katharina II. gegen das Osmanische Reich ruft österreich 1788 die serbische Rajah zum Aufstand gegen die Türkenherrschaft auf, serbische Freischaren bekämpfen unter österreichischem Kommando den türkischen Lehensstaat. Wenn auch die reaktionäre Wende der österreichischen Politik im Gefolge der großen Französischen Revolution die serbische Rajah erneut preisgibt, so wird sie, in ihrem Selbstbewusst- sein enorm gestärkt, doch zum Nukleus eines südslawischen Nationalismus.

– Wolfgang Maderthaner –


*Reâyâ (serbokroatisch: Rajah) ist ein Sammelbegriff für alle abgabepflichtigen Untertanen im osmanischen Feudalsystem, vornehmlich Nomaden, Bauern, Handwerker und kleine Handelstreibende. Anwendung findet der Begriff im Besonderen auch auf die hörigen slawischen Bauern in Serbien, deren materielles und kulturelles Elend geradezu sprichwörtlich wurde. Im Zuge des Bündnisses Josephs II. mit Katharina II. gegen das Osmanische Reich ruft Österreich 1788 die serbische Rajah zum Aufstand gegen die Türkenherrschaft auf, serbische Freischaren bekämpfen unter österreichischem Kommando den türkischen Lehensstaat. Wenn auch die reaktionäre Wende der österreichischen Politik im Gefolge der großen Französischen Revolution die serbische Rajah erneut preisgibt, so wird sie, in ihrem Selbstbewusstsein enorm gestärkt, doch zum Nukleus eines südslawischen Nationalismus.

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Waffenstillstand zw. Kaiser Ferdinand I. und Sultan Süleyman I.

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Urkunde zum Waffenstillstand zwischen Kaiser Ferdinand I. und Sultan Süleyman I., dem „Prächtigen“. 5. August 1562, Konstantinopel. Dargestellt in Gesamtlänge und in drei Ausschnitten.