Ruina Mundi

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Das labile politisch-konfessionelle Gleichgewicht des Augsburger Religionsfriedens von 1555 hält Jahrzehnte, was folgt ist die zunehmend apokalyptische Entfesselung eines aus der Perspektive seiner Leidtragenden „totalen Kriegs“. Dreißig Jahre später beurkundet der Westfälische Friede 1648 dessen Ende.

Der große britische Ökonom John Maynard Keynes datiert den Durchbruch des Kapitalismus für die Zeit um 1600, eine der entscheidenden historischen Aufschwungsphasen überhaupt. Gleichwohl vollzieht sich die Geburt des Neuen in hohem Maße ungleichzeitig, widersprüchlich, retardierend, in einem Prozess der fortgesetzten kollektiven Gewalt. Es ist in der Tat das multiple, vielschichtige Krisenszenario einer „schwer überschaubaren Konfliktbündelung“ (Johannes Burkhardt), das sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts auftut und eine tiefgehende Krise der Feudalgesellschaft bezeichnet. In Gesellschaftsformationen, die für große Teile der Bevölkerung lediglich minimale Überlebensressourcen vorsehen, ist Armut akzeptabel, ja erforderlich, Teil der göttlichen Vorsehung, notwendig für das Funktionieren des sozialen Mechanismus. Armut und Reichtum bilden ein komplementäres, wenn auch labiles Ganzes, das nunmehr durch klimabedingte massive Versorgungsengpässe (Kleine Eiszeit), Hungersnöte, (Pest-)Epidemien und entsprechende Mortalitätskrisen eine dramatische Störung erfährt; Verwerfungen, die ihrerseits einen radikalen gesellschaftlichen Umbruch ankündigen. Ihre Korrespondenz finden sie in allgegenwärtigen Endzeit-Visionen, in der alles beherrschenden, aus der Johannes-Offenbarung hergeleiteten apokalyptischen Symbolik von Tod, Krieg, Chaos, Anarchie und Jüngstem Gericht.

Zugleich polarisieren sich, immer unversöhnlicher, die Konfessionen, widerstreitende politisch-ökonomische Machtinteressen artikulieren sich als Konflikte dichotomer Glaubensorthodoxien. Die Stände – gestützt auf Steuerbewilligungsrecht und Truppenbereitstellung – treten in scharfe Opposition zur herrschenden Dynastie; der böhmische Adel ist protestantisch in bester hussitischer Tradition, die magyarische Gentry adaptiert in ihrer überwältigenden Mehrheit den Calvinismus, Mähren gleicht mehr und mehr einer selbständigen aristokratischen Republik. Habsburg ist machtlos gegen die Unbotmäßigkeit der Stände und sieht sich auf seinem gesamten Territorium mit einer Rebellion konfrontiert, die die Dynastie tatsächlich an den Rand des Untergangs bringt. Das Herrscherhaus, das Kaisertum ist damit selbst Partei geworden. 1619 wird mit dem von bayrischen Jesuiten ausgebildeten Ferdinand II., dem Katholischen, Erzherzog von Innerösterreich, ein konsequenter Gegenreformator und Vertreter forcierter Zentralisierung wie religiöser Repression deutscher Kaiser; in Loretto hatte er der Jungfrau Maria die Ausrottung der Ketzer gelobt.

Seit dem Augsburger Reichs- und Religionsfrieden – der 1555 konfessionelle als innenpolitische Fragen der jeweiligen unverletzlichen Reichsstände definiert und das Prinzip cuius regio, eius religio etabliert hatte – war es, für eine ungewöhnlich lange Zeitspanne, zu keinerlei nennenswerten kriegerischen Handlungen gekommen. Nunmehr aber erfolgte, ausgehend vom habsburgischen Territorium, im politisch wie religiös fragmentierten Heiligen Römischen Reich, auf zentraleuropäischem Boden ein Gewaltausbruch sondergleichen, der Verzweiflung, Verelendung, unsägliches Leid, Terror und Folter mit sich bringen sollte. Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung verlor sein Leben, sei es durch direkte Kriegseinwirkung, durch Seuchen, Feuersbrünste oder Übergriffe vazierender Söldner. Ganze Landstriche wurden durch diesen ewigen, mit geradezu modern anmutender Schonungslosigkeit und Grausamkeit geführten Krieg entvölkert und verwüstet. Stände, Städte, regionale Machtträger koalierten teils miteinander, teils mit auswärtigen Mächten, bezogen, je nach Bekenntnis und politischer Lage, Stellung für oder gegen den Kaiser. Gewaltige Flüchtlingsströme evozierten (zumeist religiös motivierte) Unruhen in Gegenden, die bis dahin nicht oder kaum in die Kriegshandlungen einbezogen waren. Private Militärunternehmer dominierten das Geschehen, am herausragendsten wohl Wallenstein, dessen intransigente Maßlosigkeit wiederholt als Vorschein einer brutalen Militärdespotie gedeutet wurde.

Im Dreißigjährigen Krieg läuft eine Reihe von eigenständigen, jedoch gegenseitig verschränkten Auseinandersetzungen und Konfliktebenen ineinander, der Kaiser und die Katholische Liga sehen sich, in einer kontinuierlichen Abfolge von militärischen Interventionen, mit einer wechselnden, jedoch stetig wachsenden Gegnerschaft konfrontiert: Ausgehend von der böhmischen Adelsrebellion (1618–23) sind dies Dänemark und seine norddeutschen, danach Schweden und seine protestantischen deutschen Verbündeten (1623–29 resp. 1630–34), schließlich Frankreich, Schweden und deren Alliierte (1635–48). Das Eingreifen des Löwen aus Mitternacht, Schwedenkönig Gustav II. Adolf, zwang ab 1630 die bis dahin triumphierende katholische Kriegspartei in eine schwere Defensive, mit dem französischen Engagement nahm der Konflikt sukzessive die Dimension einer zwischen den Habsburgern und den Bourbonen geführten Auseinandersetzung um die kontinentaleuropäische Hegemonie an. Militärische Mittel allein vermochten das Ringen nicht zu entscheiden, fünf lange Jahre zogen sich die Friedensverhandlungen hin, bis zu den berühmten Verträgen von Münster und Osnabrück (1648). Der Westfälische Friede schuf eine Ordnung bedingter Souveränität und sorgte für eine durch Garantiemächte abgesicherte Verrechtlichung von Glaubenskonflikten. Erklärt wurde das sog. Normaljahr: Konfessionelle Rechte und Gegebenheiten waren so wiederherzustellen, wie sie 1624 bestanden hatten, territoriale Streitfragen wurden auf Grundlage des Status quo 1618 geregelt, wobei die kaiserlichen Erblande ausgenommen blieben – eine staatsrechtliche Legitimation der Unterwerfung Böhmens. Das Bündnisrecht der Landesfürsten wurde dahingehend definiert, dass es sich nicht gegen das Reich, den Kaiser oder die vertragsgemäß begründete Verfassungsordnung richten durfte; umfangreiche Kompetenzen und Befugnisse von Reichshofrat und Reichskammergericht dienten zur Sicherstellung der konfessionellen wie auch bestimmter, bereits existierender Eigentums- und Gewohnheitsrechte.

Die Garantie des Vertrags durch den Kaiser – dessen Autorität von den protestantischen Ständen nach wie vor, wenn auch widerstrebend und ressentimentbeladen, anerkannt wurde – und die Einsetzung Frankreichs und Schwedens als Garantiemächte mit Interventionsbefugnis beförderte ein hohes Maß an Stabilität; das zentrale Europa würde in Hinkunft nicht länger Schauplatz von Religionskriegen sein.

– Wolfgang Maderthaner –

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Karikatur Vollmer

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eigenhändige Karikatur des österreichischen Gesandten Isaak Volmar auf den bayerischen Gesandten Krebs

Westfälischer Friede

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Der Westfälische Friede vom 24. Oktober 1648, in Münster unterzeichnet von Johann Ludwig Reichsgraf von Nassau-Hadamar, Abel Servien, Graf von Roche-des-Aubiers und alleiniger Vertreter der französischen Krone und den Repräsentanten von Bayern, Sachsen, Brandenburg, Österreich, Bamberg, Franken, Braunschweig-Wolfenbüttel, Mecklenburg-Vorpommern, Württemberg, Hessen-Cassel, Hessen-Darmstadt, Baden, Sachsen-Lauenburg, Argentinien, Regensburg, Goslar und Nordhausen, Windsheim und Schweinfurt, Rosheim und Türkheim, Ulm, Giengen, Aalen und Bopfingen, Esslingen, Reutlingen, Schwäbisch Hall, Heilbronn, Lindau, Kempten, Weißenburg und Wimpfen.

"Der westfälische Friedensvertrag, Beginn des wichtigsten Vertragswerk im Reich.“

- Thomas just - 
Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs