Das Archiv: Instrument der Macht

Dokument 02

Neben der Beurkundung von Rechtsgeschäften bildet deren dauerhafte und sichere Verwahrung im Archiv der Zentralgewalt eine unschätzbare normative Gravitationskraft staatlicher Konsolidierung.

Als Maria Theresia 1749 das Geheime Hausarchiv gründete, lag eine schwierige, ja geradezu existenziell bedrohliche Zeit hinter ihr. Der österreichische Erbfolgekrieg, der durch den Tod Karls VI. und das Aussterben der Habsburger in der männlichen Linie ausgelöst worden war, hatte die junge Monarchin in schwere Bedrängnis gebracht. Nur mit Mühe konnte man sich gegen die Ansprüche und Angriffe sowohl alter als auch neuer Feinde wehren. Die jahrhundertelange Regentschaft der habsburgischen Dynastie schien nicht mehr in Stein gemeißelt, und grundsätzliche Probleme der staatlichen Verwaltung wurden in der Krise umso deutlicher sichtbar. So folgte auf die Konsolidierung der politischen Verhältnisse eine Ära der Modernisierung und Reformen, im Zuge derer auch ein zentrales Archiv begründet wurde. Hatte man doch in der Zeit des Kriegs wichtige Dokumente, die zur Verteidigung der Ansprüche der Familie hätten dienen können, nicht aufgefunden. Es lag im ureigensten Interesse Maria Theresias, diese Dokumente an einem zentralen Ort zu versammeln, um mit dem Archiv gleichsam eine juristische Rüstkammer der Dynastie zu haben. So war es auch eine der ersten Aufgaben der Archivare, die auf verschiedene Orte verstreuten Urkunden in Wien zusammenzuführen. Das Ergebnis dieser Bemühungen stellen die Urkundensammlungen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs dar, die auch heute noch ein wichtiges Segment der Bestände dieser Abteilung des österreichischen Staatsarchivs bilden. Diese wuchsen im Laufe der Jahrhunderte an. Ende des 18. Jahrhunderts wurden sie durch die Urkunden, die nach den josephinischen Klosteraufhebungen an das Archiv kamen, erweitert. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen mit dem Übergang Salzburgs an die Habsburger die Urkunden des Erzbistums nach Wien. Den Ausgangspunkt der Urkundensammlungen bildet aber das Urkundenarchiv der Herzöge von Österreich, also der Babenberger und der frühen Habsburger. Im Mittelalter wurden die Grundlagen für das habsburgische Weltreich der Neuzeit geschaffen, durch Kaufen, Erben und nicht zuletzt Heiraten erweiterten die österreichischen Herrscherfamilien Zug um Zug ihr Einflussgebiet. Alle diese Rechtsgeschäfte wurden in Urkunden schriftlich fixiert – es ist also kein Wunder, dass Maria Theresia ein wachsames Auge auf diese geistige Schatzkammer ihrer Familie hatte.

Aber bereits die Babenberger hatten großen Wert darauf gelegt, ihre Urkunden bei sich zu haben und diese an einem sicheren Ort aufzubewahren. Ab dem Jahr 1237 war dies Klosterneuburg, der Platz, den sie auch als ihren markgräflichen Hauptsitz gewählt hatten. Dort wurden die Urkunden in den Jahren 1179/80 gesichtet und in chronologischer Reihenfolge nummeriert. Insgesamt sind neun Urkunden erhalten, die diese ersten Nachweise archivarischer Tätigkeit im herzoglichen Urkundenschatz tragen. Die älteste Urkunde, die auf der Rückseite den Vermerk „Primum. Hainricus secundus Hainrico marchioni“ trägt, stammt aus dem Jahr 1002. Damals schenkte König Heinrich II. dem babenbergischen Markgrafen Heinrich I. Güter zwischen Dürrer Liesing und Triesting sowie 20 Hufen zwischen Kamp und March. Das Gebiet wird nicht näher konkretisiert, der Empfänger wusste offenbar, um welches Territorium es sich handelt und hatte mit der Pergamenturkunde einen verlässlichen Rechtstitel in der Hand. Die Schenkung ist einerseits als Ausdruck der Königstreue des Markgrafen, andererseits aber auch als Aufforderung des Königs zum weiteren Ausbau der Mark und somit der königlichen Interessensphäre zu interpretieren. Auf den schriftlichen Beweis des Rechtsgeschäfts konnte bei Bedarf zurückgegriffen werden.

Analog dazu lässt sich die Bedeutung der staatlichen Archive in der Gegenwart ermessen. Heute dienen sie nicht mehr als Rüstkammern einer Dynastie, sondern sind ein wichtiger Stützpfeiler der Demokratie und gewähren Rechtssicherheit für jede Bürgerin und jeden Bürger. Gesetzlich geregelt, wird politisches und Verwaltungshandeln dokumentiert und somit nachvollziehbar gemacht. In der Einleitung mittelalterlicher Urkunden wird oft darauf hingewiesen, dass das Gedächtnis des Menschen von kurzer Dauer ist und es daher wichtig sei, Rechtsgeschäfte schriftlich festzuhalten. Diese Aufgabe erfüllen Archive damals wie heute.

– Kathrin Kininger –

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Schenkungsurkunde Heinrich II.

Dokument 02

1. November 1002, Haselbach. König Heinrich II. schenkt dem Markgrafen Heinrich von Österreich (aus dem Hause Babenberg) Güter zwischen der Dürren Liesing und der Triesting sowie 20 Hufen zwischen Kamp und March.