Haydn empfiehlt Beethoven

Dokument 36

Seine zweite „Halbzeit“ war von Gehörverlust, obsessiven Finanzsorgen, unzähligen Übersiedlungen, Unglück in der Liebe überschattet – Anfang der 1790er-Jahre jedoch davon noch weitgehend unbelastet, kommt der junge Komponist und Klaviervirtuose Ludwig van Beethoven von Bonn nach Wien und findet hier seinen Lebensmittelpunkt.

„Kenner und Nicht-Kenner müssen aus gegenwärtigen Stücken unpartheyisch eingestehen, daß Beethoven mit der Zeit die Stelle eines der größten Tonkünstler in Europa vertreten werde, und ich werde stolz seyn, mich seinen Meister nennen zu können; nur wünsche ich, daß er noch eine geraume Zeit bey mir verbleiben dürfe.“

Das schreibt Joseph Haydn am 23. November 1793 an Maximilian II. Franz, Kurfürst und Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Münster (1756–1801), jüngstes Kind von Kaiser Franz I. Stephan und Maria Theresia. Warum?

Der junge Ludwig van Beethoven, als Hofmusiker bei dem seit 1784 in Bonn regierenden Bruder des Kaisers in Diensten, hatte schon mit noch nicht einmal 17 Jahren versucht, nach Wien zu gehen, um seine Ausbildung bei Wolfgang Amadeus Mozart fortzusetzen. Der Kontakt kam zwar zustande, war jedoch nicht von Dauer. Ferdinand Graf Waldstein, Mitglied des kurfürstlichen Staatsrats in Bonn, hatte bereits diese Reise eingefädelt, und er war es auch, der 1792 Beethovens erneuten Wienkontakt zwecks Ausbildung initiierte. Mozart war inzwischen gestorben, und Waldsteins bekanntes Bonmot, in Beethovens Stammbuch eingetragen, wonach er, Beethoven, sich nach Wien aufmachen und nun Mozarts Geist aus Haydns Händen in Empfang nehmen solle, wurde spätestens ab den 1830er-Jahren immer wieder als zeitgenössisches Dokument zur Legitimation der „klassischen Trias“ Haydn–Mozart–Beethoven herangezogen. Die geradezu planmäßig vollzogene Konstruktion dieses Bildes einer „Wiener Klassik“ war seit 1798 vor allem im Umkreis des Leipziger Verlages Breitkopf & Härtel in Angriff genommen worden. Die viel zitierte Stammbucheintragung enthielt übrigens eine kaum zitierte skandalöse Unterschätzung Haydns: Mozarts Genius, der noch um den Verlust „seines Zöglings“ trauere, habe „bei dem unerschöpflichen Haydn Zuflucht, aber keine Beschäftigung“ (!) gefunden

Möglicherweise hat Beethoven diese Haltung ja gelegentlich durchschimmern lassen. Bekannt ist jedenfalls, dass sich Haydn noch dazu veranlasst sah, sich vom „Großmogul“ Beethoven deutlich abzugrenzen. Das geschah jedoch erst nach dessen Durchbruch in Wien, der üblicherweise mit der Uraufführung der Klaviertrios op. 1 beim Fürsten und Gönner Lichnowsky im August 1795 angesetzt wird.

Zuvor hat Beethoven tatsächlich bei Haydn gelernt, jedoch nicht so, wie das eine Erzählung nahelegt, die von „Schulen“ im Sinne eines kompositorischen Staffellaufs von Meistern spricht. Auch die „Wiener klassische Schule“ war wie die „Weimarer Klassik“ vor allem eine Konstruktion, mit durchaus ähnlichen geschichtsteleologischen Zielen. Konsequenten Unterricht im Wortsinn hat Beethoven nicht bei Haydn, sondern bei Johann Georg Albrechtsberger erhalten. Haydns Unterricht war ein Dialog auf Augenhöhe, eine Art „Meisterkurs“. Freilich sollte Beethoven auch an Beispielen lernen, das heißt, Kompositionen Haydns kopieren und analysieren, wie man heute sagen würde. Der Junge erhielt auf diese Weise einen Einblick in die Werkstatt des Alten und umfassend Etablierten. Haydn ließ sich den Unterricht gemäß seiner Prominenz nicht eben bescheiden honorieren, und daher geschah es auch aus Eigennutz (der Schüler schuldete dem Lehrer bereits 500 Gulden), dass er Beethovens Landesherrn darum bat, jenen nicht nur noch länger in Wien bleiben zu lassen, sondern auch seine Apanage zu verdoppeln. Haydns Empfehlung ergänzt als Begleitbrief einen Brief Beethovens mit vergleichsweise kurzem Rechenschaftsbericht über die in Wien erbrachten Leistungen, exemplifiziert durch fünf mitgesandte Kompositionen, die leider großteils verschollen sind.

Der Kurfürst reagiert kühl: Einerseits verweist er darauf, dass mit Ausnahme eines Stückes die mitgesandten Kompositionen schon aus der Bonner Zeit stammten (was nur zum Teil stimmt), andererseits darauf, dass Beethovens Bonner Gehalt ihm weiterhin in der ursprünglich vereinbarten Höhe zur Verfügung stünde (was stimmt). Die aus dem Briefwechsel hervorgehende kurfürstliche Erlaubnis, in Wien zu bleiben, jedoch ab sofort ohne kurfürstliche Unterstützung, nahm Beethoven nur zu gern an. Er war „frei“.

– Christian Glanz –

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23. November 1793, Wien. Schreiben von Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven an Maximilian II. Franz, Kurfürst und Erzbischof von Köln.