Josephinische Landesaufnahme

Dokument 30

Die in den 1760er-Jahren noch von Maria Theresia in Auftrag gegebene und zwei Jahrzehnte später fertiggestellte Militärkarte eines Großteils Europas ist eine Meisterleistung kartographischer Ingenieurskunst und entzieht sich wegen ihres Monumentalcharakters bis heute einer vollständigen wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Die Josephinische Landesaufnahme – auch als Erste Landesaufnahme, Kriegs- oder Militärkarte bezeichnet – wurde in den Jahren 1763 bis 1787 in knapp über 4.000 Einzelsektionen erstellt. Nach dem Siebenjährigen Krieg, im Verlauf dessen Maria Theresia bravourös, doch erfolglos versucht hatte, das von Preußen usurpierte Schlesien zurückzugewinnen, war man in Wien zur Überzeugung gelangt, dass der Mangel an aktuellen und genauen Landkarten eine zügige Truppenbewegung der kaiserlichen Armee verhindert habe. Deshalb erteilte Maria Theresia 1764 auf Antrag des Hofkriegsratspräsidenten Leopold Graf Daun den Befehl zur umfassenden Vermessung und kartografischen Darstellung des gesamten habsburgischen Herrschaftskomplexes. Bald setzte sich im Sprachgebrauch der Begriff „Josephinische“ Landesaufnahme durch, da ihr Sohn Joseph II. die Aufnahmearbeiten persönlich energisch vorantrieb. In knapp über zwei Jahrzehnten wurde somit ein großer Teil Europas, im Westen inklusive den Österreichischen Niederlanden (dem heutigen Belgien), im Süden bis weit nach Italien und im Osten bis in heute ukrainisches Gebiet reichend, meist im Maßstab 1 : 28 800 – ein Wiener Zoll (26 mm) auf der Karte entsprach 400 Wiener Klaftern (758,6 m) – durch Ingenieuroffiziere des Generalquartiermeisterstabes unter Assistenz lokaler Garnisonen vermessen, beschrieben und kartografisch dargestellt. Von Anfang an lagen die fertiggestellten Originalblätter in der eigens eingerichteten Kartensammlung des Kriegsarchivs in Wien.

Hatte man die historische Bedeutung dieses kartografischen Pionierwerkes auch bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg erkannt, so sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis das Kartenwerk auch in den Analysen modernerer Vermessungstechnik entsprechende Würdigung erfuhr. Editionen wurden angedacht, scheiterten jedoch oft aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen oder konnten wegen der Konkurrenz der sich durch die Digitalisierung ergebenden Möglichkeiten nicht mehr durchgeführt werden. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden zwar die Blätter der Ferraris-Karte, die die Erste Landesaufnahme Belgiens darstellt, ediert, doch blieb dies für weitere Jahrzehnte ein Ausnahmefall. Erst ab 1995 begann man die Edition der „Josephinischen Landesaufnahme 1763–1787 für das Gebiet der Republik Slowenien“ – eine äußerst akribische Arbeit mit Ortsnamenskonkordanzen, welche die verschiedenen topografischen Bezeichnungen in slowenischer, ungarischer, italienischer und deutscher Schreibweise auch bei den Beschreibungsbänden berücksichtigen. Es folgte ein ähnliches Werk für das Territorium der Republik Kroatien. Parallel dazu edierte das historische Institut der Firma Benetton die Erste Landesaufnahme Venetiens, die insofern eine Besonderheit darstellt, als diese Provinz erst 1797 in den Verband der österreichischen Monarchie gelangte, sodass die um 1800 erstellten Kartenwerke als „Nachzügler“ betrachtet werden. Ähnliches gilt für die sogenannte „Schmitt’sche Karte von Südwestdeutschland“, deren Einzelblätter teilweise um 1990 von deutschen Landesvermessungsämtern lose herausgegeben wurden, ein Unternehmen, das indessen niemals abgeschlossen wurde. Das quantitativ umfangreichste Werk stellt die Edition der (Ost-) Galizien – und somit auch Teile der Ukraine – betreffenden Sektionen dar, womit 2012 von mehreren polnischen Universitäten begonnenen wurde. Eine Edition der allerdings bereits im 19. Jahrhundert gezeichneten Blätter von Westgalizien ist angedacht.

Ein weiteres modernes und noch nicht ganz fertiggestelltes Projekt betrifft die elektronische Verwertung: Alle Blätter der Josephinischen – sowie der Franziszeischen und Francisco- Josephinischen – Landesaufnahme sind unter dem Titel „Mapire“ von der Website des Österreichischen Staatsarchivs elektronisch abrufbar.

Das vorliegende, zwischen 1782 und 1785 erstellte Kartenblatt bildet gemäß den damaligen politisch-administrativen Verhältnissen eine Sektion der Ersten Landesaufnahme Ungarns. Am äußersten linken Blattrand befindet sich ein Teil von Ödenburg (Sopron), während die Schreibweise von „Illmicz“ im Nordosten eine Mischung aus dem deutschen „Illmitz“ und dem ungarischen „Illmic“ zu sein scheint. Die um diesen Ort stark betonte Versumpfung mag bereits die in jenen Jahren einsetzende Austrocknung des Neusiedler Sees andeuten.

Nach dem Ersten Weltkrieg stellte das Burgenland bekanntlich den einzigen österreichischen Gebietszuwachs (auf Kosten des ebenfalls zu den Verlierern zählenden Ungarn) dar. Während in mehreren Teilen des Burgenlandes bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gendarmerie und Freischärlern stattfanden, bildete Ödenburg, dessen staatliche Zugehörigkeit noch nicht geklärt war, 1921 zweimal die Basis für Restaurationsversuche von König Karl IV. von Ungarn (Kaiser Karl I. von Österreich). Noch im gleichen Jahr fand auf internationalen Druck in Ödenburg (und in acht umliegenden Ortschaften) eine Volksabstimmung statt, die eine über 65-prozentige Mehrheit für Ungarn ergab, obwohl die Stadt von österreichischer Seite her als Hauptstadt des neu geschaffenen Burgenlandes vorgesehen war. Jahrzehnte später gelangte die Region, die auf der Karte am östlichen Blattrand abgebildet ist, durch die von der sowjetischen Reaktion auf den missglückten ungarischen Aufstand von 1956 verursachte Massenflucht noch einmal zu trauriger Berühmtheit („Brücke von Andau“).

Ein bis heute letztes Mal stand die Region im Sommer 1989 im Mittelpunkt des Weltinteresses, als beim sogenannten „Paneuropäischen Frühstück“ zahlreichen DDR-Bürgern – auch aufgrund offenen Ungehorsams ungarischer Grenzsoldaten – das Durchbrechen des „Eisernen Vorhangs“ und die Flucht nach Österreich gelang: ein Ereignis, das in letzter Konsequenz das Ende des kommunistischen Gesellschaftssystems in Europa einleiten sollte.

– Robert Rill –

Mehr Weniger

Josephinische Landesaufnahme (Ausschnitt)

Dokument 30

Ausschnitt aus der Josephinischen Landesaufnahme – die Region um Ödenburg (Sopron). 1782-1785.