Nach Gottes Plan

Dokument 03

Als Projektionsfläche nachfolgender Herrschergenerationen und spätestens seit seiner Heiligsprechung und Ernennung zum Landespatron überlebensgroß, besticht der Babenberger-Markgraf Leopold III. zu seinen Lebzeiten durch Umsicht und Weitblick, unter anderem durch konsequente Förderung klösterlichen Lebens.

Alles mittelalterliche Leben und Denken, die Wahrnehmung der Welt und das Wissen über sie sind durch das Religiöse definiert und determiniert. Es ist ein teleologisches Weltbild, das das Weltgeschehen als Verwirklichung der Ideen des Weltschöpfers, eines göttlichen „Arbeitsplans“ versteht, als Produkt eines über den Menschen stehenden, zweckbewusst tätigen Willens. Die wirklichen Wesenheiten sind die Begriffe, die Ideen; die einzelnen Dinge sind lediglich Abbilder dieser Ideen. Alles Wissen ist an eine allmächtige Überlieferung gebunden, und wie die entstehende Naturwissenschaft zunächst nur die Auslegung der aristotelischen Physik darstellt, so versteht sich die Theologie als die Deutung der Heiligen Schrift und der Kirchenväter. Der Einzelne ist Teil althergebrachter, durch das Herkommen geheiligter herrschaftlicher und genossenschaftlicher Verbände (wie etwa die Zünfte); seine Bestimmung besteht darin, die ihm von Gott und Gesellschaft zugeteilte Rolle zu erfüllen. Der dreieinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod heiliggesprochene dritte Leopold aus dem Geschlecht der Babenberger scheint seinem solcherart festgelegten Rollenbild – soweit wir die reale Figur aus dem Gewebe von Legende und Fiktion, von Deutungsmacht und Legitimationskanon überhaupt herauslösen können – durchaus nahe gekommen zu sein.

Markgraf Leopold III. agiert als ein „Pragmatiker“ in einer Zeit beschleunigter sozialer und intellektueller Dynamik, die von radikaler Differenzierung und kulturellem Partikularismus geprägt ist. Es ist die Zeit, in der sich die plaga orientalis, das „Ostland“, formiert, in der sich eine feste Herrschaftsorganisation und institutionelle Strukturen sowie ein gemein- sames Rechtsempfinden – ein, wie es hieß, ius illius terrae – herausbilden. Noch ist jener gewaltige, vorwiegend von bajuwarischen Siedlern getragene Prozess der Kolonisation des Südostens (also des Territoriums der römischen Provinzen Rätien, Noricum, Pannonien), im Zuge dessen die ansässige romanisch-keltische und slawische Bevölkerung assimiliert und absorbiert wird, nicht zur Gänze abgeschlossen; noch erfolgt die Urbarmachung des Bodens nur mühsam und zäh – und doch sind die Zeichen der „Landwerdung“ (und der damit verbundenen politischen Identität) des Grenzraumes unübersehbar.

Ein entscheidendes Instrument in diesen Prozessen ist das von Passau und Salzburg aus gepredigte Christentum, umso mehr, als sich die gesamte geistige Kultur jener Zeit in den Händen der Kirche befindet. Die Pfarrhöfe werden zu Angelpunkten einer allmählich fortschreitenden „Germanisierung“, die Klöster – frühzeitig reiche Grundherrschaften – fungieren als Wissensspeicher, Denkfabriken und Hort der Schriftlichkeit. Häufig sind sie die Vorhut der Rodungen und Kultivierungen, Nukleus rationalen Wirtschaftens. Ganz in diesem Sinn hat sich Leopold III. um die Schaffung einer dauerhaften, effizienten kirchlichen Organisation bemüht, die ihm großen persönlichen Einfluss eröffnete. Er gilt als der Klostergründer par excellence, wenn auch nur eine einzige Gründung – Klosterneuburg, wo er ab 1113 eine großangelegte Pfalz errichten ließ – tatsächlich auf ihn zurückgeht. Vielmehr ist Leopold, wie sein Biograf Karl Brunner ausführt, ein secundus fundator: Unter seiner Herrschaft erfährt das gesamte klösterliche Leben eine Blütezeit; 1100 erwirkt er für das babenbergische Hauskloster Melk ein päpstliches Schutzprivileg, gegen Ende seines Lebens wird, auf Betreiben seines Sohnes Otto von Freising und basierend auf einer radikalen Reform des benediktinischen Mönchstums, die Zisterze Heiligenkreuz im Wienerwald eingerichtet.

Jugend und erstes Regierungsjahrzehnt dieses sozusagen paradigmatisch „österreichischen“ Herrschers verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Erst durch die Heirat mit seiner zweiten Frau, der Königs-/Kaisertochter Agnes, Witwe des staufischen Herzogs Friedrich, steigen die Babenberger, deren Wohlstand sprichwörtlich geworden ist, zu den ersten Familien des Reiches auf und gewinnen Anschluss an eine vom Hochadel getragene europäische Zivilisation. Ab diesem Zeitpunkt ist die schriftliche Überlieferung dichter und verlässlicher. Der orientalis marchio (östliche Markgraf), der sich die „Rechte seiner Machtvollkommenheit“ zuspricht, gilt als Friedensstifter, Förderer von Handel, Kunst und Wissenschaft und Begründer einer umsichtigen Heiratspolitik, die Vorbild für künftige Souveräne dieses Landes wird. Von späteren Generationen wird er zum Inbegriff der „gerechten Herrschaft“ stilisiert, und sehr bald nach seinem Ableben setzt ein regelrechter Kult um seine Person ein. Daran werden die Habsburger (Albrecht II. und dessen Sohn Rudolf IV.) anknüpfen, um ihre Herrschafts- und dynastischen Ansprüche aus einem gleich- sam mythologisierten Mittelalter heraus zu legitimieren. Nach überaus langwierigen, widersprüchlichen und enorme Kosten verursachenden Verhandlungen, die erst auf Initiative Kaiser Friedrichs III. hin zum Erfolg führen, wird schließlich am Dreikönigstag 1485 die Heiligsprechung des Babenbergers verkündet. Im gegenreformatorischen Barock wird er zur symbolbeladenen Projektionsfläche, und der habsburgische Kaiser Leopold I. bestimmte ihn zum Schutzpatron des gesamten Landes Österreich.

– Wolfgang Maderthaner –

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Leopold III. erlässt Abgaben

Dokument 03

Leopold III. erlässt dem Domkapitel von Salzburg die Abgaben für den Weingarten Tallant in Krems. 13. November 1136, Salzburg. Die Urkunde trägt das charakteristische Reitersiegel der Österreichischen Landesfürsten.