Marie Antoinette und die Revolution

Dokument 35

Quintidi, 25. Vendémiaire II: Wenige Monate nach der Enthauptung ihres Mannes Ludwig XVI. ereilt „Witwe Capet“ am 16. Oktober 1793 unter der Guillotine am Pariser Revolutionsplatz das gleiche Schicksal. Sie verlässt eine Welt im Wandel, den sie nie verstand, inmitten einer zunehmend von Gewalt und Terror beherrschten Gesellschaftstransformation.

Erzherzogin Maria Antonia (geb. am 2. November 1755 in Wien, gest. am 16. Oktober 1793 in Paris), jüngste Tochter Kaiserin Maria Theresias, war 1770, im Alter von 14 Jahren, nach Frankreich verheiratet worden. Ihre Ehe mit dem französischen Thronfolger Louis – ab 1774 König Ludwig XVI. – diente der Vertiefung des 1756 geschlossenen Bündnisses zwischen Bourbonen und Habsburgern. Anfangs beliebt, galt Königin Marie Antoinette in der öffentlichen Meinung schon bald als Symbol der Dekadenz und Verschwendungssucht des französischen Hofes in Versailles; für die politische Propaganda war sie „l’Autrichienne“, der nur die österreichischen, nicht die französischen Interessen am Herzen lägen. Im Gefolge des Ausbruchs der Revolution wurde die königliche Familie im Oktober des Jahres 1789 gezwungen, Versailles zu verlassen und fortan in Paris, in den Tuilerien, zu wohnen, wo eine Art Ehrenhaft über sie verhängt wurde. Die eigentliche Regierung führte die 1789 konstituierte Nationalversammlung.

Marie Antoinette war davon überzeugt, dass einzig und allein die Sprache der Bajonette, also militärische Gewalt, dazu geeignet war, die Revolution niederzuschlagen und den König und sie selbst wieder in ihre angestammten Rechte einzusetzen. Sie selbst stellte sich an die Spitze der radikal-reaktionären Partei und hoffte auf einen Krieg, in dem treu gebliebene königliche Truppen im Verein mit befreundeten ausländischen Mächten – deren Herrscherdynastien sich angesichts der Gefahr des Übergreifens der Revolution auf ihre eigenen Territorien ebenso bedroht sehen mussten – das geschwächte revolutionäre Frankreich rasch besiegen und die bourbonische Monarchie retten würden.

Die von der Königin schon seit Beginn der Revolution geführten auswärtigen Korrespondenzen mit ihren Hilfsappellen stießen jedoch auf taube Ohren. Im Frühjahr 1791 verstärkte sie ihre Bemühungen. So versuchte sie am 5. Jänner 1791 den spanischen Botschafter für ihr Projekt zu gewinnen und erläuterte ihm ausführlich ihre und die Intentionen des Königs. Das Ganze gipfelte in dem Appell, endlich klar und offen zu deklarieren, ob nun auf Spanien zu zählen sei oder nicht, und wenn ja, in welcher Form. Der Botschafter berichtete danach von ihr als einer verzweifelten Frau am Ende ihrer Widerstandskraft, deren antirevolutionärer Bewegung es freilich mangels geeigneter Führungspersönlichkeiten an jeglicher Planung oder konkreter Richtung fehle. In den darauffolgenden Wochen wandte sich Marie Antoinette an alle weiteren befreundeten Höfe, in erster Linie natürlich auch an Wien, auf dessen Entscheidung die anderen Mächte warteten und von der sie eine gemeinsame Intervention abhängig machten.

Am 27. Februar 1791 schrieb Marie Antoinette ihrem Bruder, Kaiser Leopold II., einen Brief, in dem sie zunächst konstatiert, dass es natürlich erforderlich sei, weiterhin mit Klugheit vorzugehen, wie sie und der König es in den vergangenen 16 Monaten trotz aller Gefahr getan hätten. Angesichts des raschen Fortschreitens des Umsturzes halte sie es jedoch für sehr gefährlich, diesem weiterhin nichts entgegenzusetzen. Es stehe zu befürchten, dass durch ein so langes Fehlen jeglicher Ordnung in Frankreich dem Kaiser selbst bald auch schon Brabant nicht mehr vollständig unterworfen sein werde und die von der (revolutionären) Propaganda infizierten Grundsätze auf ganz Europa übergriffen. Besonders eindringlich – hervorgehoben durch Unterstreichung – will Marie Antoinette Leopold klarmachen, wie dringend erforderlich sein Eingreifen als Signal für andere Mächte sei: Spaniens Antwort hätte gelautet, dass es in dem Moment mit seinen Streitkräften helfe, wenn er, der Kaiser, der König von Sardinien und die (Schweizer) Kantone es ebenso machten und man somit in dieser Sache einig und verbunden mit ihr und dem König vorgehe.

Auch dieses Mal war die Antwort Leopolds II. ausweichend: Die Zeiten seien schwierig, es gälte, vorteilhaftere Umstände abzuwarten. Bei allem guten Willen, ihr aus ihrer Verlegenheit zu helfen, seien die Erfolgsaussichten ohne weitere, mächtigere Verbündete zu gering. Der Kaiser hatte das Wohl seiner Völker über seine Familieninteressen zu stellen – wie schon vor ihm sein Bruder Joseph II. griff auch er nicht in Frankreich ein. Das änderte sich erst unter seinem Nachfolger Franz II., dem seitens des revolutionären Frankreich im April 1792 der Krieg erklärt wurde. Erste französische Niederlagen und der Einmarsch preußischer Truppen hatten allerdings eine starke Radikalisierung der Revolution zur Folge, die schließlich das Ende für König und Königin bedeutete. Im Prozess vor dem Revolutionsgericht, der zu ihrer Enthauptung am 16. Oktober 1793 führte, wurden Marie Antoinette unter anderem die in den Tuilerien aufgefundenen Korrespondenzen mit dem Ausland als Hochverrat ausgelegt.

– Gerhard Gonsa –

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Marie Antoinette informiert Kaiser Leopold II

Dokument 35

Marie Antoinette informiert ihren Bruder Kaiser Leopold II. über die Gefahr einer weiteren Ausbreitung der Revolution. 27. Februar 1791