Die lange Reise des Emanuel "Michl" Schwarz

Dokument 88

Die Geschichte des jüdischen Arztes Emanuel „Michl“ Schwarz steht singulär inmitten der Schicksale abertausender Entwurzelter und Gestrandeter: bis März 1938 angesehener Sportfunktionär im Fußballclub Austria, danach Exil, Internierung, Flucht, Heimkehr und Rehabilitation.

„I oba, Herr Doktor, werd’ Ihna immer grüß’n!“ Matthias Sindelar reagierte auf seine Weise, als nach der nationalsozialistischen Machtübernahme der langjährige Austria- Präsident Michl Schwarz durch den neu installierten Vorstand kaltgestellt und mit Grußverbot belegt worden war. Der weltbeste Mittelstürmer erinnerte sich gut, war doch der „Fußballdoktor“ sein maßgeblicher Förderer gewesen und hatte ihn 1925 zu einer Meniskusoperation gedrängt – ein zum damaligen Zeitpunkt hoch riskanter Eingriff, der jedoch die Karriere Sindelars letztlich retten sollte.

Die Austria Wien, so eine zeitgenössische Selbstdarstellung des Vereins, repräsentiere eine ganz eigene Marke, sei ebenso sehr ein Gesellschafts- wie ein Fußballklub, an dessen Spitze stets ein Doktor oder Professor stünde. Die Inkarnation dieses Prinzips war Emanuel Schwarz: brillanter Student bei den Größen der berühmten Wiener medizinischen Schule, Kurarzt, Weltkriegsoffizier, Vertrauensarzt der haute bourgeoisie der Stadt. Fußballspieler pflegte er kostenlos zu behandeln; dafür, so meinte er, würden ja „die Rothschilds und die Starhembergs“ zahlen. Wie sich der seit 1931 auch formal an die Spitze der Austria getretene Medizinalrat überhaupt durch einen soliden patriarchalischen Umgang mit „seinen“ Spielern auszeichnete. Für Walter Nausch beispielsweise besorgte er sonntäglich und höchstpersönlich dessen Leibgericht Kalbsbries, was naheliegende Assoziationen mit dem so urwienerischen Begriff des „Brieskickers“ förmlich aufdrängte.

Zwei Mitropacup-Siege (1933 und 1936) sind die Glanzpunkte einer Präsidentschaftsära, die 1938 jäh zu ihrem Ende kommt. Der Ex-Austria-Spieler, „Illegale“ und SA-Sturmbannführer Hermann Haldenwang soll den Verein als „Ostmark“ neu organisieren, ein Gutteil des alten Vorstands ist vom Verbot jüdischer Tätigkeit im Sport betroffen. Das Bildnis Schwarz’ im Sekretariat hatte unverzüglich durch ein Führerporträt ersetzt zu werden, und Klubsekretär Egon Ulbrich – der auch die Umbenennung der Austria erfolgreich bekämpfen wird – setzt eine Großtat von geradezu Schwejk’scher Dimension: Er dreht das Bildnis einfach um und appliziert auf dessen Rückseite ein Hitlerbild, wo es in genau dieser Form bis Kriegsende verbleibt.

Schwarz selbst trifft, mittlerweile 60-jährig, die nötigen Vorbereitungen. Er meldet sich aus seiner Wohnung in der Wollzeile ab und begibt sich Ende Mai 1939 mit Unterstützung des italienischen Verbandspräsidenten Avvocato Giovanni Mauro nach Bologna. Im Juni 1940 wird dann „Emanuel Israel Schwarz, Krankenbehandler, mos., unbekannten Aufenthalts“ aus alleinigem Verschulden geschieden; er hat damit seiner (katholischen) Frau Leopoldine die Wohnung erhalten und seinen Sohn Franz zu schützen versucht. Dieser verdingte sich zunächst als Pflasterer und Korbflechter, musste in der Folge untertauchen und konnte den Faschismus nur als U-Boot überleben. Mit der unter Lebensgefahr geleisteten Hilfe seiner Frau und einer Bürgschaft des FIFA-Präsidenten Jules Rimet gelangt Schwarz nach Paris, später nach Grenoble und in das westfranzösische Angoulême. Er schlägt sich als Sportmasseur durch und hält Verbindung zu seiner Familie, über Kanäle, die nicht zuletzt über Spieler wie „Bimbo“ Binder laufen, der an der Westfront im Einsatz ist und gelegentlich nach Wien abgestellt wird. Binder war der unbestrittene Stürmerstar des ewigen Stadtrivalen SK Rapid, der mit drei Treffern ganz wesentlich zur Erringung des deutschen Meistertitels in einer legendären Auseinandersetzung mit Schalke 04 im Berliner Olympia-Stadion am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, beigetragen hatte.

Schließlich wird Schwarz aufgegriffen und in eines der zahlreichen Internierungslager an der Kanalküste verbracht. Hier geschieht das Unfassliche: Der Lagerkommandant setzt ihn über ein nächtlich unversperrtes Tor in Kenntnis. Der Doktor ergreift die Chance, schlägt sich zu Fuß nach Paris durch und nimmt dort Kontakt mit alten Bekannten wie dem Ex-Hakoahspieler Fritz Donnenfeld – Barbesitzer und unter den Decknamen „Donny“ und „Marquis“ für die Resistance tätig – auf.

Am 6. Dezember 1945 feiert Österreich mit einem 4:1-Erfolg gegen Frankreich den Wiedereintritt in das internationale Sport- und Fußballgeschehen. Mit dem französischen Team ist auch Michl Schwarz nach Österreich gekommen. Er, der um sein persönliches Schicksal niemals viel Aufhebens gemacht hat, übernimmt wie selbstverständlich für ein Jahrzehnt wieder das Präsidentenamt bei der Austria, das ihm seit 1938, wenn auch notwendigerweise inoffiziell, reserviert worden war. Am 2. Mai 1951 erfolgt die Wiederverheiratung mit seiner Frau Poldi. Am 21. Jänner 1964 wird Emanuel Schwarz, Obermedizinalrat, mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet.

– Wolfgang Maderthaner –

Mehr Weniger

Emanuel "Michl" Schwarz

Dokument 88

Michl Schwarz (1. Reihe, 2. von links), Theodor Körner (1. Reihe, 3. von links) und Leopold Figl (1. Reihe, 6. von links) inmitten der Repräsentanten der Besatzungsmächte. 6. Dezember 1945, Wien.

Michl Schwarz und Theodor Körner

Dokument 88

Das erste Länderspiel nach dem Weltkrieg: Österreich trifft auf Frankreich (4:1). Michl Schwarz und der Wiener Bürgermeister Theodor Körner im von Bomben zerstörten Wiener Stadion. 6. Dezember 1945, Wien.