Wöllersdorf

Dokument 81

Das vom autoritären Ständestaat errichtete „Anhaltelager“ Wöllersdorf (1933–1938) wird von der NS-Propaganda nach dem „Anschluss“ zum Ort des Martyriums hochstilisiert. Ein Symbol allemal für die antidemokratischen Irrwege unter der Kruckenkreuzflagge.

Im kalten Staatsstreich vom 7. März 1933 hatte sich die Regierung von Engelbert Dollfuß gleichsam absolutistische Regierungsgewalt angeeignet [Mussolini – Dollfuss: eine Korrespondenz]. Von März 1933 an wurden unter permanentem Verfassungsbruch rund 300 Verordnungen auf Basis des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 erlassen, der Verfassungsgerichtshof wurde ausgeschaltet. Ein brillanter Jurist, der vormalige Sektionschef Robert Hecht, mit dem langen Gedächtnis der österreichischen Hochbürokratie ausgestattet, instrumentalisierte ein weithin vergessenes autokratisches Rechtsbefugnis zur rechtskonformen Aushöhlung des Verfassungsstaates. Hecht, mit dem sogenannten „Prominententransport“ nach Dachau verbracht, sollte dann im Mai jenes Jahres zu einem der ersten Opfer des NS-Terrors werden.

Die Notverordnungen liefen auf eine Demontage der allgemeinen Freiheitsrechte und der Sozialgesetzgebung hinaus, zerstörten aber auch ihrem Charakter nach entwicklungsfähige Ansätze berufsständischer Selbstverwaltung durch die tendenzielle Entrechtung der Berufsvertretung der Eisenbahner, die Aufhebung der frei gewählten Personalvertretung bei Post und Fondskrankenkassen sowie in den Bundesbetrieben, die Unterstellung der Arbeiterkammern unter Staatskontrolle, durch Unterhöhlung der Autonomie der Sozialversicherung und zentralbehördliche Kontrolle der paritätisch besetzten Industriellen Bezirkskommissionen – um nur einige zu nennen. In der raschen, seriellen Form der Notverordnungen, in ihrer Kumulierung, in der Kombination von integrierenden und regressiven Maßnahmen entwarf der von einem religiösen Sendungsbewusstsein durchdrungene Dollfuß von sich das Bild eines kompromisslosen, resoluten Krisenmanagers.

Die Pressefreiheit und das Versammlungsrecht wurden stark eingeschränkt, über die Arbeiter- Zeitung wurde die Vorzensur verhängt. Die Rechtsprechung über politische Delikte wurde der Polizei übertragen, die Schwurgerichtsbarkeit weitgehend unwirksam und die unabhängige Jurisdiktion damit schrittweise zum Assistenzorgan autoritärer Machtansprüche. Bereits am 30. März 1933 erfolgte die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, des sozialdemokratischen Wehrverbandes (der allerdings sofort in anderer Form reorganisiert wurde). Von Gewerkschaften und Unternehmern rechtsgültig abgeschlossene Kollektivverträge wurden aufgehoben und Herabsetzungen der Löhne angeordnet. Die Arbeitslosenunterstützung wurde erheblich reduziert, für verschiedene Kategorien gänzlich gestrichen. Für eine Reihe von Industriezweigen wurde ein Streikverbot erlassen, jeder Streik mit Freiheitsstrafen bedroht. Am 11. November 1933 trat für Mord, Brandstiftung und boshafte Sachbeschädigung das Standrecht in Kraft, um am 12. Februar 1934 um den Tatbestand des Aufruhrs erweitert zu werden. Anhaltelager zur Internierung politischer Gegner wurden eingerichtet, per Verordnung vom 1. September 1933, betreffend die „Verhaltung sicherheitsgefährdender Personen zum Aufenthalt in einem bestimmten Ort oder Gebiet“; in Wöllersdorf, auf dem Gelände der ehemaligen k. u. k. Munitionsfabrik, entstand das erste und größte Lager dieser Art. Nach den Februarereignissen des Jahres 1934 wuchs dessen Belegung sprunghaft an – einen Höchststand erreichte es nach dem Nazi-Juliputsch, im Oktober 1934 mit 5302 Insassen, womit die Aufnahmekapazitäten bei Weitem erschöpft, die hygienischen Verhältnisse zugleich unhaltbar geworden waren und die Einrichtung einer „Marodenabteilung“ erforderten. Jedem Angehaltenen wurde ein beträchtlicher (wenn auch üblicherweise uneinbringbarer) täglicher Schillingbetrag in Rechnung gestellt, allfällige Pensionen zur Gänze einbehalten.

Wenn auch Gendarmerie-Generalmajor Emanuel Baron von Stillfried-Rathenitz unzählige Maßnahmen zur Straffung der Disziplin setzen sollte, so erlaubte das nachts von Scheinwerfern taghell erleuchtete Lager doch auch vielfältige Formen der Kommunikation, Konspiration und (passiven) Resistenz. Eine Amnestie ließ 1936 die Zahl der Inhaftierten auf ca. 500 sinken, im Februar 1938 wurde das Anhaltelager auf Druck NS-Deutschlands geschlossen, die Hauptbaracke Anfang April von den Nazis unter erheblichem Propagandaaufwand niedergebrannt.

Gestaltung und Intention der Anlage sind mit den zum Inbegriff eines einzigartigen Menschheitsverbrechens gewordenen nationalsozialistischen Konzentrationslagern keinesfalls vergleichbar – dennoch geriet Wöllersdorf zum konkreten Symbol eines in so vieler Hinsicht glücklosen, aus autoritärem Geist geborenen Unrechtsregimes.

– Wolfgang Maderthaner –

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Planskizze des „Anhaltelagers“ Wöllersdorf

Dokument 81

Das "Anhaltelager" Wöllersdorf auf dem Gelände der ehemaligen k.u.k. Munitionsfabrik. Februar 1934.