Marshall-Plan

Dokument 92

Mit dem Ziel, Industrie und Nachfrage im Westeuropa der Nachkriegszeit rasch anzukurbeln, entwickelt US-Außenminister George C. Marshall einen ab 1948 in die Tat umgesetzten Plan, der sich sowohl für die US- als auch die westeuropäische Wirtschaft als kongeniale „Win-win“-Situation erweisen sollte.

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Not in Österreich allgegenwärtig. Der Verkehr war teilweise stillgelegt, die Landwirtschaft aller Betriebsmittel beraubt, die Energieversorgung unzureichend und damit eines der Haupthindernisse für einen Wiederaufbau der industriellen Produktion. Dazu kamen enorme bauliche Schäden, Zerstörungen an Wirtschaftseinrichtungen und Demontagen von Fabriken und Maschinen. Am schwersten wog jedoch, dass Österreich für den Wiederaufbau die Arbeitskräfte fehlten: hunderttausende Gefallene, Tote durch Bomben und Kriegshandlungen, Vermisste und Invalide waren zu beklagen ebenso wie die Opfer und Vertriebenen des Nationalsozialismus sowie die Geflüchteten und die Kriegsgefangenen, deren Rückkehr ungewiss war. Die erste überlebenswichtige Hilfe, die im Februar 1946 anlief und in 16 Monaten Warenlieferungen im Wert von rund 135 Millionen Dollar umfasste, kam von der amerikanischen Organisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration). Danach oblag die Durchführung weiterer Hilfsaktionen der amerikanischen Regierung. Österreich erhielt zunächst eine Sonderhilfe des War Department in Höhe von 22 Millionen Dollar, die vorerst nur für die amerikanische Besatzungszone gedacht war, dann aber auf 38 Millionen Dollar für ganz Österreich aufgestockt wurde. Im Anschluss daran ließen die USA über die Kongresshilfe (25. Juni 1947) und die Interimshilfe (2. Jänner 1948) weitere umfangreiche Geldmittel (156,1 Millionen Dollar) fließen.

Der wirklich entscheidende Impuls für den systematischen Wiederaufbau Europas war das vom amerikanischen Außenminister George C. Marshall ins Leben gerufene European Recovery Program (ERP). Marshall formulierte die Zielsetzung dieses beispiellosen Hilfsprogramms in einer historischen Rede am 5. Juni 1947 sinngemäß so: „Jede Hilfe, die unsere Regierung in Zukunft gewähren mag, sollte Heilung und nicht bloß Linderung bringen.“ Mit möglichst vielen europäischen Staaten sollte auf deren Initiative ein gemeinsames Programm entwickelt werden, um die nach dem Krieg zersplitterten Länder enger zusammenzuschließen und so eine langfristige Erhaltung des Friedens durch die Einheit Europas sowie eine Stärkung der Region als Wirtschaftsraum und Handelspartner der Vereinigten Staaten zu erreichen. Nur einen Monat nach der Rede Marshalls luden Großbritannien und Frankreich alle europäischen Länder mit Ausnahme Spaniens zu einer Konferenz nach Paris ein. Die nach Absage der osteuropäischen Staaten verbliebenen 16 Länder gründeten am 12. Juli 1947 mit den Oberbefehlshabern der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone Deutschlands das CEEC (Committee of European Economic Cooperation). Der US-Kongress genehmigte auf Basis des am 3. April 1948 von Präsident Harry Truman unterzeichneten Auslandshilfegesetzes fünf Milliarden Dollar für das erste Jahr der Europa-Hilfe und setzte für den amerikanischen Teil des Hilfsprogramms die ECA (Economic Cooperation Administration) mit Sitz in Washington ein. Auf europäischer Seite wurden in allen Marshall-Plan-Staaten ECA-Missionen eingerichtet. Nach Überführung der CEEC in die OEEC (Organisation for European Economic Co-operation) mit Sitz in Paris wurde das europäische Wiederaufbauprogramm schließlich detailliert ausgearbeitet. Das am 2. Juli 1948 geschlossene bilaterale Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit, unterzeichnet von Außenminister Karl Gruber, Vizekanzler Adolf Schärf sowie dem USGesandten John George Erhardt, bildete die juristische Grundlage zur Durchführung des Marshall-Plans in Österreich. Österreich bekam als besonders armes Land die Hilfe nicht wie andere europäische Länder gegen Barzahlung, Kredit oder Warengegenleistung, sondern geschenkt („Grants“). Außerdem konnte die österreichische Wirtschaft durch Ziehungsrechte umfangreiche Warenlieferungen von anderen OEEC-Staaten erhalten. Die Waren wurden zu inländischen Marktpreisen oder noch billiger, also zu sehr günstigen Bedingungen für den Endverbraucher, verkauft und die so erzielten Schilling-Erlöse auf ein ERP-Konto bei der Österreichischen Nationalbank eingezahlt. Dieses sogenannte Counterpart-Konto diente vorerst der Währungsstabilisierung sowie der Bereinigung des Staatshaushalts und wurde später dazu verwendet, über Kreditinstitute Investitionen der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen.

Das ERP und damit die Neuorganisation der ökonomischen Struktur vollzog sich in drei Phasen: Bis 1949 hatte der Marshall-Plan noch den Charakter eines Notstandsprogramms, im Verkehrswesen ging es in erster Linie um die Beseitigung der Kriegsschäden. Die zweite Phase von Ende 1949 bis 1952 stand im Zeichen des Übergangs zum Aufbauprogramm mit Anpassung der verschiedenen, vor allem während des Krieges entstandenen Grundindustrien an die österreichische Wirtschaftsstruktur sowie des Ausbaus der Energieversorgung. In Phase drei wurde zwischen 1952 und 1953 der Schwerpunkt auf die Final- und Exportindustrien sowie auf Investitionen im Fremdenverkehr gelegt. Insgesamt flossen zwischen 1948 und 1953 Lieferungen mit einem Gegenwert von fast einer Milliarde US-Dollar nach Österreich.

– Dieter Lautner –

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Der Marshall Plan

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Das Abkommen zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika über wirtschaftliche Zusammenarbeit, abgeschlossen im Rahmen des so genannten European Recovery Program (ERP). 2. Juli 1948, Wien.

Treu­handels­abkommen zwischen Österreich und den USA

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Die Westalliierten übergaben bis zur Lösung der Eigentumsfrage das „Deutsche Eigentum“ der Republik Österreich in Treuhandverwaltung. Den Anfang machten die USA mit dem Treuhandabkommen vom 16. Juli 1946