Genia und das Genie

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Ab der Jahrhundertwende und mehr als 30 Jahre bleibt Eugenie Schwarzwald Pionierin moderner Schulbildung in Wien. Geprägt von eigenen Erfahrungen ermöglicht sie u.a. die erste maturaführende Schule für Mädchen. Unter den Klassenlehrern findet sich auch das Ausnahme-Genie Oskar Kokoschka.

Eine überaus tatkräftige und mit schier unerschöpflicher Energie ausgestattete Pionierin der Frauenbildung war Eugenie „Genia“ Schwarzwald (1872–1940), die 1901 in Wien eine private Mädchenschule übernahm und diese schließlich, in beharrlichem und gewiss auch geschicktem Umgang mit den Schulbehörden, nach und nach zu einem Schulzentrum ausbauen konnte. Schwarzwalds pädagogische Reformen waren richtungsweisend und sind als Meilensteine in der Entwicklung eines modernen Schulwesens zu sehen. Es gelang Schwarzwald 1911, die Gründung eines achtklassigen Mädchenrealgymnasiums durchzu- setzen. Auch mit der Einführung des koedukativen Unterrichts für Volksschulkinder und dem Abhalten von Elternsprechtagen war sie ihrer Zeit weit voraus.

Die von der Peripherie des Habsburgerreiches, aus einem kleinen galizischen Ort nahe der russischen Grenze stammende ehrgeizige und begabte junge Frau musste zum Studium nach Zürich gehen, da Frauen an österreichisch-ungarischen Universitäten das Studium noch verwehrt war. Erst ab 1897 wurden Frauen, zumindest an der philosophischen Fakultät, als ordentliche Hörerinnen zugelassen. Eugenie Schwarzwald studierte an der Züricher Universität Germanistik, Pädagogik und Philosophie und promovierte dort 1900 zum Doktor der Philosophie. Wenn die rührige Pädagogin auch als „Frau Doktor“ tituliert wurde – offiziell wurde dieser akademische Grad von der habsburgischen Bürokratie nie anerkannt. Ihr Ehemann Hermann Schwarzwald, wie Eugenie aus Galizien stammend und von jüdischer Herkunft, war promovierter Jurist und brachte es als Ministerialbeamter bis zum Sektionschef. Er unterstützte seine Frau nach besten Kräften und stand ihr als zuverlässiger und kompetenter Ratgeber zur Seite.

Mit ihrer eigenen Schulzeit verband Eugenie Schwarzwald keine guten Erinnerungen. Die dort herrschende und als feindselig empfundene Atmosphäre wurde von ihr als wenig förderlich erlebt. Schwarzwald wollte nun ihre Schulen so gestalten, wie sie sich diese als Schülerin gewünscht hätte. In einem fröhlichen und wohlwollenden Umfeld wurden die Schülerinnen zu kritischem Denken angeleitet und umfassend gebildet, wobei auch auf die Entfaltung künstlerischer Talente im Musik- und Zeichenunterricht großer Wert gelegt wurde.

Die vielfältigen gesellschaftlichen Kontakte, das große Netzwerk der Schwarzwalds, zu dem namhafte Persönlichkeiten aus Kunst und Geisteswelt zählten, prägten deren Leben im privaten wie öffentlichen Bereich. Das fand seinen Ausdruck auch darin, dass die beiden ein offenes Haus führten, in dem bedeutende Vertreter der Wiener Moderne verkehrten. Auch der aufstrebende Maler Oskar Kokoschka (1886–1980) wurde von Eugenie Schwarzwald in ihren Kreis aufgenommen. Kokoschka war als herausragender Vertreter des Expressionismus bereits international in Erscheinung getreten, als er 1911 in Wien bei einer Ausstellung in den Räumlichkeiten der Künstlervereinigung „Hagenbund“ 25 Gemälde zeigte. Insgesamt wurde die Ausstel- lung von der Presse nicht als Erfolg gewertet, die Kritik an Kokoschkas Werken aber war von einer unglaublichen Gehässigkeit, die den Künstler sehr verletzte. Im Herbst 1911 wurde Kokoschka von Eugenie Schwarzwald als Zeichenlehrer beschäftigt und damit einer der später anerkannten, aber damals noch umstrittenen Lehrer an den „Schwarzwaldschulen“. Es unterrichteten beispielsweise auch Adolf Loos, Arnold Schönberg, Egon Wellesz oder Hans Kelsen, den Großteil des Lehrkörpers machten jedoch ganz „gewöhnliche“ Pädagogen aus. Da der akademische Maler Kokoschka nicht über die zum Unterrichten am Mädchenlyzeum Schwarzwald nötige Lehramtsprüfung verfügte, ersuchte er die Schulbehörde um „Dispens von dem Erfordernisse der Lehrbefähigung“ für das Schuljahr 1911/12. Der vom k. k. niederösterreichischen Landesschulrat vorgelegte Bericht des zuständigen Schulinspektors samt Antrag, dem Gesuch Kokoschkas nicht zu entsprechen, lagen der Abweisung des Ersuchens des Künstlers durch das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht zugrunde. Im Bericht wird auch die Fürsprache Eugenie Schwarzwalds für Kokoschka erwähnt: „[...] denn er sei ein hervorragendes Talent – ist nur durch die unheilvolle Klimtgruppe und die Modernen der Museumschule, die ihn als Sündenbock ihrer Kunstrichtung vor die Oeffentlichkeit jagten, so verwildert“. Des Weiteren äußerte sich der Schulinspektor zu Kokoschkas Unterricht in einer abfälligen Weise, die der Skandalisierung der Auftritte des Künstlers in der öffentlichkeit entsprach: „Zunächst hat sich der junge Mann um den Lehrplan gar nicht bekümmert und hat die Mädchen nach der Methode der ‚Uebermodernen‘ zeichnen lassen, was sie wollten und zwar ‚illustrierend‘. [...] ein Chaos von kindischen Patzereien, zumeist nur halbfertige Schmieragen, ganz im Stile der Kunst, welche er selbst sinn- und gedankenlos zur Zeit in der Kunstschau ausgestellt hatte.“ Selbst ein Vorsprechen Schwarzwalds beim Unterrichtsminister, um eine Abänderung der Entscheidung herbeizuführen, war nicht von Erfolg gekrönt. Auf Schwarzwalds Erklärung, Kokoschka sei ein Genie, soll sie zur Antwort bekommen haben, Genies seien im Lehrplan nicht vorgesehen.

Eugenie Schwarzwald, deren Tätigkeitsfeld neben pädagogischen vor allem auch karitative Aufgaben umfasste, erfuhr 1938 während einer Vortragsreise in Dänemark vom schon befürchteten Anschluss österreichs an Deutschland. Sie kehrte nicht mehr nach österreich zurück und verbrachte, bereits schwer krank und verarmt, ihre letzten Lebensjahre in der Schweiz.

– Susanne Kühberger –

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Oskar Kokoschka am Mädchenlyzeum "Schwarzwald"

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Eugenie Schwarzwald konnte namhafte Persönlichkeiten als Lehrende an ihrem Mädchenlyzeum verpflichten: Oskar Kokoschka für Zeichnen, Adolf Loos für Architektur, Arnold Schönberg und Egon Wellesz für Musik, Hans Kelsen für Soziologie und Volkswirtschaftslehre sowie Otto Rommel für Literatur. Die Beschäftigung Oskar Kokoschkas im Schuljahr 1911/12 wurde vom zuständigen Landesschulrat allerdings nicht goutiert, man hielt seine sofortige Entfernung von der Anstalt für wünschenswert. 30. Jänner 1912, Wien.