Eros und Thanatos

Dokument 55

Am hitzigen Kunststreit um die sogenannten Fakultätsbilder von Gustav Klimt, Auftragsarbeiten für die Deckengemälde mit Allegorien auf Philosophie, Medizin, Jurisprudenz und Theologie, werden nicht nur die Bruchlinien zwischen Historismus und Jugendstil evident.

In der bildenden Kunst war es vor allem Gustav Klimt, der die Macht und die Bedeutung der Sexualität thematisierte, ebenso wie die allgegenwärtige Identitätskrise des bürgerlichen Subjekts – die viel beschworene „Auflösung des Ich“. Wie der Skeptiker und Relati- vist Freud hat Klimt die Abgründe der menschlichen Seele ausgeleuchtet, die menschliche Triebnatur, den Zerfall der kontinuierlichen Ich-Identität, die Pluralität von Lieben und Sterben in das Zentrum seiner tiefenpsychologischen Investigation gestellt.

Klimt, zunächst Dekorationsmaler der Ringstraßenära, wurde in den späten 1890er-Jahren zum Haupt einer „Secession“, einer Abwendung vom dominanten Historismus in Kunst und Kunstgewerbe, wie ihn das Makart’sche Atelier produzierte. In einer Art ödipaler Auflehnung, im Rückgriff auf die antiliberale Revolte der „Jungen“ der Siebziger- und Achtzigerjahre sollte die Loslösung der Kunst aus dem Geist des Kommerzes und der „Todeshand“ der Tradition vollzogen werden: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.“ Der Jugendstil verbindet sich, zumindest anfänglich, mit einer sozialen Utopie der Durch- dringung von Kunst und Leben. Klimts rastlose Erkundung in der (auch von Freud so bezeichneten) „Unterwelt“ der Psyche – die sich unter anderem dadurch ausdrückt, dass er immer wieder Vorlesungen zur Psychopathologie besuchte –, seine Suche nach den Bedin- gungen und Möglichkeiten sexueller Befreiung schlug sich in nervösen, fiebrigen Frauen- darstellungen nieder, die Anziehung wie Bedrohung, Idolatrie wie Dämonisierung zugleich versinnbildlichen.

Noch bei der Ausgestaltung der großen Ringstraßengebäude (Burgtheater, Kunsthistori- sches Museum) hatte sich Klimt, als ein junger Meister der alten Schule, eines soliden historischen Naturalismus bedient – und genau aus diesem Grund den Auftrag für die Anfertigung eines Deckengemäldes in der neuen Universität erhalten. Und wie die im Stil der Renaissance gehaltene Universität den späten Triumph des Liberalismus nahezu paradigmatisch repräsentierte, so sollte die Darstellung der vier Fakultäten sinngemäß den „Sieg des Lichts über die Finsternis“ symbolisieren. Klimt allerdings, der inzwischen seine secessionistische Wende vollzogen hatte, entwarf eine düstere, nietzscheanische Weltvision, in der Eros und Thanatos auf vielschichtige und schmerzliche Weise ineinander übergingen, die Ratio, Geist und Materie unterschiedslos zusammenfließen ließ, jenseits der etablierten Grenzen von Vernunft und Recht. Mit der Philosophie (1900) und der Medizin (1901) stellte Klimt der emanzipationsgeleiteten Kultur des Fortschritts eine phantasmagorische, schockierende Vision des Primats des Triebhaften und Unbewussten entgegen, seine Juri- sprudenz (1901) war ein beängstigender erotischer Albtraum, ein frontaler Angriff auf die liberale Rechtskultur.

Es löste einen wütenden Proteststurm aus, in dem sich – für dieses eine Mal – die liberale Fakultätsprofessoren und die antisemitisch-klerikale Politik in gemeinsamer Empörung vereinten, darunter so unterschiedliche Protagonisten wie Karl Lueger, Karl Kraus oder der utilitaristische Philosoph Friedrich Jodl. Der Begründer der Wiener Ethischen Gesellschaft, Kathedersozialist und Volksbildner Jodl, ein Vorkämpfer der Frauenemanzipation, konnte geradezu als die idealtypische Verkörperung rationaler Liberalität gelten. Ange- sichts durchaus unerwünschter Mitstreiter war er bemüht, die Auseinandersetzung vornehmlich auf ihre ästhetische Dimension zu reduzieren; man kämpfe nicht gegen nackte oder freie, sondern lediglich gegen „hässliche“ Kunst.

Der zunächst vom Kultusminister der deutsch-bürokratischen Regierung Koerber, dem angesehenen Altphilologen Wilhelm Ritter von Hartel, bereitwillig unterstützte Klimt reagierte mit Verstörung und Rückzug. Das in der Tradition eines aufgeklärt-absolutistischen Josephinismus stehende Beamtenministerium Koerber hatte ein umfassendes ökonomisches wie kulturelles Modernisierungsprojekt initiiert; im kosmopolitischen, „universalistischen“ Kunstverständnis der Secession sah man eine durchaus geeignete ästhetische Klammer für den sich in Auflösung befindlichen Vielvölkerstaat, wich schließlich aber vor den artikulationsmächtigen Gegnern Klimts zurück. 1905 ersuchte dieser das Ministerium um Rückkauf seiner so kontrovers aufgenommenen Werke. Sein weiterer Weg führt Klimt zur statischen Ornamentik und zum formalen Symbolismus eines führenden Dekorationskünstlers der jüdisch-assimilierten haute bourgeoisie Wiens, zur goldgesättigten Farben- und Formensprache seiner späten Frauenporträts. Ein bemerkenswerter Rückgriff auf seine Anfänge und seine Herkunft (Vater wie Bruder waren Goldgraveure), der eine Hinwendung zur ästhetischen Abstraktion wie auch kreative Resignation andeutet.

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Fakultäts­bilder

Dokument 55

Petition der Hochschulprofessoren gegen die Ausgestaltung der Aula der Wiener Universität durch Gustav Klimt. Unterschriftenliste mit den Namen von u. a. Franz Exner, Friedrich Jodl und Emil Resch. 24. März 1900, Wien.

Klimt Brief 1

Dokument 55

Schreiben Gustav Klimts an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 10. März 1900 bezüglich seines Auftrages zur Anfertigung der "Fakultätsbilder"

Klimt Brief 2

Dokument 55

Schreiben Gustav Klimts an das Ministerium für Kultus und Unterricht vom 26. November 1903 bezüglich seines Auftrages zur Anfertigung der "Fakultätsbilder"

Klimt Brief 3

Dokument 55

Schreiben Gustav Klimts welches dem Ministerium für Kultus und Unterricht Anfang April 1905 vorlag. Klimt verzichtete in diesem Schreiben auf den gesamten Auftrag zur Anfertigung der Deckengemälde in der Aula der Wiener Universität

Klimt Brief 4

Dokument 55

Schreiben Gustav Klimts an das Ministerium für Kultus und Unterricht, eingelangt am 19. April 1905. Klimt verweigert die Übergabe der Deckengemälde und ersucht abermals um Mitteilung, wo er die bereits erhaltenen Vorschüsse hinterlegen kann.