Biedermann

Dokument 87

Ein Aufstandsplan österreichischer Wehrmachtsoffiziere, die „Operation Radetzky“, soll in den letzten Kriegswochen, da die Rote Armee unmittelbar vor Wien steht, die drohende Zerstörung Wiens verhindern. Major Karl Biedermann, einer der Akteure, wird zusammen mit zwei weiteren Offizieren am 8. April 1945 öffentlich am Floridsdorfer Spitz gehenkt.

Eine gespenstische Szene, symptomatisch für das Inferno des April 1945, da die Schlacht um Wien tobt: In den letzten Kampftagen war das Rationierungssystem gänzlich zusammengebrochen, eine Hungersnot größten Ausmaßes scheint unvermeidlich. Am Floridsdorfer Spitz reißen mehrere Frauen jedes verwertbare Stück Fleisch aus den teils noch warmen Kadavern verendeter Pferde. Jenen drei, mit Schildern „Ich habe mit Bolschewiken paktiert“ versehenen Gehenkten, die seit mehreren Tagen von ihrer improvisierten Richtstätte bei einer nahen Bushaltestelle nicht entfernt worden sind, schenken sie offenbar keine weitere Aufmerksamkeit. Bei den Exekutierten handelt es sich um Exponenten des militärischen Widerstands: Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth, Oberleutnant Rudolf Raschke.

Sieben Jahre davor hatte Joseph Goebbels vor österreichischen Künstlern und Intellektuellen über den Nationalsozialismus als eine „totale Auffassung des menschlichen Lebens“ referiert, die alles Denken, Fühlen und Handeln in ihren „Wirkungskreis“ mit einbeziehe. Nun konnte die angestrebte Totalität niemals in gesellschaftliche Praxis umgesetzt werden; einer weitgehenden Akzeptanz der von ihm gesetzten sozialen, kulturellen und juristischen Normen und Werte war der Nationalsozialismus aber nahegekommen. Seine Herrschaftstechnik ist ohne terroristischen Gewalteinsatz nicht denkbar; ihr klagloses Funktionieren aber setzt die Zustimmung, Kooperation oder zumindest Duldung einer Mehrheit der Bevölkerung voraus. Immer wird dieses Regime in seinem totalitären Anspruch und Zugriff jegliches deviantes Verhalten, jeden Widerspruch, jede Form von Nonkonformität als radikale Verneinung seiner selbst begreifen, mit allen Mitteln verfolgen und auszumerzen versuchen. Die durch Kriegs- und Arbeitsdienstpflicht militarisierte Gesellschaft ist der umfassenden Kontrolle unterworfen, zu Denunziation und Selbstüberwachung angehalten, durch Blockwartesystem, Freizeit- und Betriebsorganisationen möglichst zur Gänze erfasst, überwacht, diszipliniert.

Die Gründe, weshalb sich Menschen trotz aller Gefahren und Unwägbarkeiten zu Widerstandsaktivitäten entschlossen haben, sind vielfältig, kontrovers und meist sehr persönlicher Natur. Es ist eine mit hohen Risiken befrachtete existenzielle Entscheidung, die im Falle ihrer Entdeckung mit Toleranz nicht rechnen kann; immer aber ist sie ein Akt der Identitätsfeststellung. Widerstand gegen das totalitär-autoritäre System kann sich in unterschiedlicher Weise, in differenzierten Abstufungen manifestieren, stets aber steht das subversive Agieren unter dem allgegenwärtigen Risiko der (meist tödlichen) Sanktion. Vielfach entspringt Widerstand der Initiative von Einzelnen, Konspiration ist unter den Bedingungen der terroristischen NS-Herrschaft ein geradezu konstitutives Moment widerständischer Aktivität; es ist, wie Hans Mommsen dies ausgedrückt hat, ein „Widerstand ohne Volk“.

Karl Biedermann, aus dem ungarischen Miskolcz gebürtig, war k. u. k. Berufsoffizier und, nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst, 1923 als Beamter in der Postsparkasse untergekommen. Er wird diese „Deklassierung“ nicht verwinden, sich der Heimwehr anschließen, als Bataillonskommandant des Freiwilligen Schutzkorps im Februar 1934 führend an der Eroberung des Karl-Marx-Hofs beteiligt sein, in der Folge zum Stabschef der Zweiten Jägerbrigade des Wiener Heimatschutzes aufsteigen. Diese seine Vergangenheit will er jedenfalls im Zuge seiner nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erfolgten Bemühungen um Wiedereinstellung als aktiver Offizier so rasch als möglich vergessen machen. Biedermann, „absolut antimarxistisch und scharf antisemitisch“ eingestellt, beteuert, durchgängig im Gegensatz zu den Systemparteien gestanden und demgemäß auch kein Schwarzer gewesen zu sein. Im November 1939 erfolgt seine Einberufung, als Kommandeur und Nachschubführer einer Panzerdivision nimmt er am Russlandfeldzug teil, wird mehrfach ausgezeichnet und zum Major befördert. NSKK-Obersturmführer Franz Hönig bescheinigt ihm (in einem Schreiben an Gaureferenten Pg. Volkmer vom 30. Juni 1942), die bei der Division befindlichen Parteigenossen, Blutordensträger, Führer der SA etc. in jeder Weise gefördert zu haben. Sein „Gefühl für Volksgemeinschaft“ sei außergewöhnlich, und doch habe er, gemäß eigener Aussage, lediglich „seine Pflicht für Führer und Reich“ getan. Von der Front aus betreibt Biedermann sein berufliches Fortkommen. In mehreren Briefen an den Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge bekennt er sich „rückhaltlos“ zum nationalsozialistischen Staat, zum „großen Werk des Führers“, für das er, ohne Rücksicht auf seine eigene Person oder seine Familie, sein Leben „hinzugeben“ bereit sei. Er habe sich wohl unbedingte, „besondere politische Verlässlichkeit“ erworben.

Und doch lässt der Fortgang der Kampfhandlungen und deren sich permanent radikalisierende mörderische Dynamik, lässt die Einsicht in die – trotz Totalisierung des Kriegsgeschehens – schiere Unmöglichkeit des „Endsiegs“ zweifelnde Infragestellung zum folgenschweren Entschluss des altgedienten Berufsoffiziers heranreifen. Seit 1943 Kommandeur der Heeresstreifenabteilung Groß-Wien, kommt Biedermann in Kontakt zur Widerstandsgruppe Major Carl Szokolls, einem der wenigen unentdeckt gebliebenen Verschwörer des Juli 1944, Verbindungsmann zur Gruppe um Graf Stauffenberg im Wiener Wehrkreiskommando XVII. Ein Aufstandsplan österreichischer Wehrmachtsoffiziere, die „Operation Radetzky“, nimmt in den letzten Kriegswochen, da die Rote Armee unmittelbar vor Wien steht, konkrete Konturen an. Die drohende Zerstörung Wiens soll verhindert, Raschke das Wehrkreiskommando XVII, Biedermann strategisch sensible Punkte in der Innenstadt mit ihren Einheiten besetzen, Huth den Rundfunksender am Bisamberg einnehmen. Die Operation wird von NS-Führungsoffizier Walter Hanslik aufgedeckt, Standgerichte, die von einem „besonders gemeinen und verabscheuungswürdigen“ Tatbestand ausgehen, fällen die Todesurteile. Am 8. April, zu einem Zeitpunkt, da ein längst verlorener Krieg in chaotischem Zusammenbruch und zynisch-sinnentleerten Durchhalteparolen ausläuft, werden die Urteile öffentlich vollzogen.

– Wolfgang Maderthaner –

Mehr Weniger

„Ich habe mit den Bolschewiken paktiert.“

Dokument 87

Öffentliche Hinrichtung am Floridsdorfer Spitz in den buchstäblich letzten Stunden des Krieges, Wien 1945.

Karl Biedermann an die Reichsstatthalterei

Dokument 87

Hauptmann Karl Biedermann, Sekretär des Postsparkassenamtes Wien, schreibt mit Feldpostnummer 14732 an die Reichsstatthalterei. 15. Dezember 1938, Wien.

Karl Biedermann, Kamerad und "vorbildlicher nationalsozialistischer Offizier"

Dokument 87

Schreiben von Obtn. d.R. Franz Hönig, NSKK-Obersturmbannführer, an den Gaureferenten Volkmer. 30. Juni 1942, Sonnhof.

Karl Biedermann

Dokument 87

Bestätigung des Amtes der Wiener Landesregierung, Ref. Opferfürsorge, betreffend die Hinrichtung von Major Karl Biedermann. 12. August 1953, Wien.

Erhängung von Karl Biedermann

Dokument 87

Niederschrift der Angaben des Augenzeugen Ferdinand Huschka zur Erhängung von Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke. 23. Juni 1945, Wien.