Neoabsolutismus

Dokument 45

Dem 18-jährigen Kaiser Franz Joseph I. gelingt es in seinen ersten Regierungsjahren, den politischen Freigeist der Märzrevolution zu unterdrücken; das bürokratische Rückgrat seiner Zentralverwaltung verfolgt einen wirtschaftsliberalen Kurs im Geiste des Josephinismus.

Mitten in den Wirren der Revolutionstage, am 11. April 1848, überbrachte eine Delegation die Beschlüsse des in Preßburg versammelten ungarischen Landtags in Form von 31 Gesetzesartikeln. Sie sahen eine weitgehende Unabhängigkeit und Selbstständigkeit Ungarns im Rahmen der Monarchie, dessen vollständige Fusion mit Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien und die Bildung einer mit allen Kompetenzen ausgestatteten Regierung in Pest vor und wurden von einem völlig regierungs- und aktionsunfähigen Kaiser Ferdinand I. sanktioniert. Als Unabhängigkeitsverfassung galt sie seitdem als die Berufungs- und Legitimationsinstanz eines jeglichen magyarischen Separatismus, stand aber in völligem Gegensatz zu der nur zwei Wochen später erlassenen Pillersdorf’schen Verfassung, die gleich in ihrem ersten Paragrafen eine „untrennbare konstitutionelle Monarchie“ sämtlicher zum österreichischen Kaiserstaat gehörenden Länder festlegte. Zugleich wurde unter den Völkern Ungarns, in ihrer ersten archaischen Form die Nationalitätenproblematik virulent.

Ein Aufstand der Slowaken wurde mit den denkbar grausamsten Mitteln niedergeworfen, Tausende Slowaken des Waagtales an Straßenbäumen gehängt. In Agram aber erhob sich Joseph Jelačić, kommandierender General und Ban, zum Krieg gegen Ungarn.

Als nach der in Olmütz erfolgten Abdankung Ferdinands der erst 18-jährige Erzherzog Franz Joseph am 2. Dezember 1848 – in einem Augenblick des Bürgerkriegs, der Zerrissenheit und der drohenden Auflösung des Reiches – die Regierungsgeschäfte übernimmt, wird die ungarische Unabhängigkeitsverfassung in einem ersten Patent klar verworfen. Der magyarische Landtag seinerseits weigert sich, die Thronentsagung anzuerkennen, ruft die Republik aus und erklärt am 14. April 1849 in Debrezin die vollständige Unabhängigkeit vom Hause Habsburg; Lajós Kossuth wird Reichsverweser mit quasi-diktatorischen Vollmachten.

Nach einer Reihe von schweren Niederlagen der kaiserlichen Armee unter dem in Belangen der regulären Kriegsführung offenkundig unfähigen Fürsten Windischgrätz brachte erst die Intervention und Waffenhilfe von Zar Nikolaus I. den Umschwung. über Galizien und die Walachei dringen russische Truppen in der Stärke von 130.000 Mann vor und vereinigen sich mit den kaiserlichen Truppen, das revolutionäre Ungarn muss im August 1849 in Világos kapitulieren. Im Zusammenspiel mit dem Feldzug Radetzkys in Italien (am 23. März war Piemont bei Novara entscheidend besiegt worden) bedingte die militärische Niederwerfung des Aufstands der Magyaren eine massive Ausweitung des Macht- und Einflussbereichs der Armee, die der junge Franz Joseph in durchaus bemerkenswerter Weise zu nutzen wusste. Etabliert wurde eine sozusagen österreichische Variante einer Militärdiktatur, was zunächst auf die blutige Unterdrückung der Freiheitsbewegung, die Wiedereinführung der Zensur, die Auflösung der in der Revolutionszeit als Keimzellen einer bürgerlichen öffentlichkeit entstandenen Vereine und – zur Sanierung der schwer angeschlagenen Reichsfinanzen – die Privatisierung eines Großteils der Staatsbahnen hinauslief. Vor allem aber wurde das gesamte Reich, inklusive Ungarn, zu einem einheitlichen, von Wien aus absolutistisch beherrschten und bürokratisch zentralisierten Verwaltungsgebiet zusammengefasst.

Bereits am 7. März 1849 war in einem staatsstreichartigen Coup der Kremsierer Reichstag aufgelöst worden – ein erster Schritt vom Konstitutionalismus hin zum Neoabsolutismus und ein verhängnisvolles Unterfangen, das, einem Menetekel gleich, über der gesamten 68-jährigen Regierungszeit Franz Josephs schweben sollte: Hatte doch der nach Kremsier verlegte Reichstag erstmals die Forderung nach nationaler Autonomie entwickelt und in einer mühseligen, vor allem aber einmaligen gemeinsamen Anstrengung aller vertretenen Völker einen Verfassungsentwurf vorgelegt, der dem Reich die so dringend benötigte nattonale und politische Klammer schaffen sollte. An seiner statt erließ Franz Joseph ein Verfassungsoktroi, das letztlich niemals in Kraft trat und durch das Silvesterpatent 1851, das dem Kaiser zunehmend absolute Herrschaftsgewalt überantwortete, wieder aufgehoben wurde. Schon am 30. April 1849 hatte dieser den Oberbefehl über die Armee übernommen und behielt sich nach dem Tod seines Ministerpräsidenten, Fürst Felix Schwarzenberg, 1852 alle weiteren innen- und außenpolitischen Entscheidungen nunmehr selbst vor. Dazu trat die große, die leitende Staatsidee, das Staatsprinzip österreichs, das man im Rückgriff auf einen gegenreformatorischen Katholizismus zu finden vermeinte: österreich als Verkörperung katholisch-päpstlicher Suprematie, als europäische Vor- und Schutzmacht gegen den protestantischen Norden und das glaubenslose Frankreich. Am 18. August 1855 (Kaisers Geburtstag) trat das Konkordat in Kraft, das die Grundlagen der kirchenpolitischen Gesetzgebung Josephs II. aufhob [Modern Times #2 und Kaiser und Kirche], die Kirche von jeder staatlichen Aufsicht befreite, ihr das Schulwesen unterstellte und den Klerus mit weitreichenden Privilegien und Befugnissen ausstattete. Armee, Bürokratie und katholische Hierarchie sollten so gleichermaßen zum Fundament der dynastischen Alleinherrschaft werden.

Das neoabsolutistische Regime hat somit die zentralen Errungenschaften und Forderungen der 1848er-Revolution aufgehoben und revidiert – konnte sie auf längere Sicht allerdings nicht unterbinden. Mehr noch: Ein bürokratischer Absolutismus unternimmt so etwas wie den Versuch einer Quadratur des Kreises mit dem Ziel, das politische Erbe des eben besiegten Liberalismus ein für alle Mal zu entsorgen und zugleich dessen ökonomischen Auftrag zu erfüllen: nämlich im Rahmen einer umfassenden, kontrollierten Modernisierung von oben für eine merkliche Steigerung der Steuer- und Produktivkraft zu sorgen. In den ersten Regierungsjahren des jungen Kaisers werden jene Gesetze verabschiedet, welche die moderne Landwirtschaft auf Basis des bäuerlichen Privateigentums und der freien Lohnarbeit begründen – notwendige Voraussetzung für die Entfaltung jeglicher industriekapitalistischer Moderne.

Solch durchaus in josephinischer Tradition stehender Reformabsolutismus beseitigt die protektionistische Wirtschaftspolitik zugunsten einer liberalen Freihandelspolitik (Aufhebung der Zolllinie zwischen österreich und Ungarn 1851), fördert in großzügiger Weise den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur (Bau der Semmeringbahn), organisiert Justiz und Verwaltung neu, richtet Handelskammern ein, sorgt mit der Anlage von Grundbüchern für Rechtssicherheit in zentralen Fragen des Privateigentums, setzt schließlich volle Gewerbefreiheit und Freizügigkeit durch (Gewerbeordnung 1859). Treibende Kraft ist dabei eine ihrem Wesen, ihrer Struktur und ihrer Funktion nach stark verbürgerlichte, jedenfalls aber übernational organisierte Bürokratie.

Unlösbar und sozusagen schicksalhaft verbunden aber bleibt der Neoabsolutismus mit der gleichfalls übernational strukturierten Armee. Als in den Auseinandersetzungen um die anstehende Lösung in der italienischen wie in der deutschen Frage aufgrund diplomatischen wie militärischen Totalversagens verheerende, ja traumatische Niederlagen eingefahren werden (Solferino 1859, Königgrätz 1866) [Königgrätz], bedeutet dies auch den notwendigen Sturz des absolutistischen Regimes. An seine Stelle tritt ausgerechnet jener politische Liberalismus, den dieses Regime um jeden Preis zu verhindern gewillt war – und den es durch seine Wirtschaftspolitik doch zwangsläufig vorbereitet hat.

– Wolfgang Maderthaner –

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Das Konkordat von 1855

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18. August 1855, Rom. Ein zentrales Dokument des franzisko- josephinischen Neoabsolutismus: Das von Kardinal Rauscher und dem päpstlichen Nuntius Viale-Prelà unterzeichnete Konkordat.