Murat Pascha

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Ein Leben im Krieg: Die militärische Laufbahn des polnischen Offiziers Józef Zachariasz Bem ist ein Spiegel der großen militärischen Konflikte seiner Zeit: 1810 noch Kadett unter Napoleon, Leutnant im Russlandfeldzug bis hin ins Revolutionsjahr 1848 in Wien und den Aufständen in Ungarn im Folgejahr.

Der Wiener Kongress vollzog die vierte Teilung Polens, zwischen Russland, Preußen und österreich; große Gebiete des von Napoleon errichteten ehemaligen Herzogtums Warschau (Neuschlesien, Südpreußen und ein Teil Ostpreußens) wurden zum Königreich Polen erklärt („Kongresspolen“), dessen Krone der Zar in Personalunion übernahm und dem er einen gewissen Autonomiestatus zuerkannte. Artikel 1 der im Mai 1815 in Wien verlautbarten und vom polnischen Zarenberater Fürst Adam Jerzy Czartoryski ausgearbeiteten Verfassung lautet: „Das Königreich Polen ist auf ewig dem russischen Kaiserreiche einverleibt.“ Allerdings sucht der in seiner Hoffnung auf ein geeintes Polen sowohl durch Napoleon als auch durch den Wiener Kongress getäuschte polnische Adel die Unabhängigkeit des Landes in mehreren Aufständen zu erkämpfen. 1830/31 tritt Czartoryski selbst an die Spitze der nationalen Erhebung in Russisch-Polen, die nur durch einen massiven, zehn Monate dauernden militärischen Einsatz zaristischer Truppen niedergerungen werden kann. In den Schlachten bei Iganie und Ostrołe ̧ka tritt ein in der napoleonischen Offizierstradition stehender glühender polnischer Nationalist in einer Weise hervor, die ihn rasch zum Oberst und Oberbefehlshaber über die gesamte polnische Artillerie aufsteigen lässt.

Józef Zachariasz Bem wurde 1794 in dem seit der ersten polnischen Teilung 1772 habsburgischen Tarnów in Galizien geboren und sollte sein gesamtes Leben lang ständig zwischen wissenschaftlicher Forschung und militärisch-revolutionärer Tat pendeln; wohl nicht zu Unrecht hat man ihn als einen spätgeborenen „Condottiere der Revolution“ bezeichnet. 1810 tritt er in das napoleonische Warschauer Kadettenkorps ein, im Alter von 18 Jahren nimmt er als Leutnant am Russland-Feldzug teil, 1813 erhält er das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion. Ein halbes Jahrzehnt später finden wir Bem als Hauptmann bei der reorganisierten polnischen Armee und Lehrbeauftragten an der Artillerieschule zu Warschau. Bei Experimenten im Zuge der Einführung einer neuen Rakete erleidet er schwerste Verbrennungen am gesamten Körper, insbesondere aber im Gesicht, das fortan von einer pigmentlosen, hauchdünnen und hochempfindlichen Haut überzogen ist. Dessen ungeachtet, profiliert sich Bem als einer der entschiedensten Gegner der fortschreitenden „Russifizierung“ der polnischen Nationalarmee, wird diszipliniert, arretiert, verbannt. Nach dem Scheitern des polnischen Adelsaufstands geht er via Frankreich 1833 nach Portugal, wo er sich den im Bürgerkrieg befindlichen Liberalen anschließt, und schließlich erneut nach Paris, um seine wissenschaftlichen Studien und publizistischen Tätigkeiten voranzutreiben.

In den Märztagen 1848 taucht Jósef Bem in Lemberg auf, wo er ein Kommando der Na- tionalgarde übernimmt. Er kommt in Kontakt mit dem k. k. Oberleutnant Wenzel Cäsar Messenhauser, der hier bei der 5. Kompagnie des Infanterieregiments Hoch- und Deutschmeister stationiert ist. Beide werden sich Mitte Oktober in der revoltierenden Reichshauptstadt wiederbegegnen, Messenhauser als Oberkommandierender der Nationalgarde, General-Lieutenant Bem als eine Art militärisch-strategischer Oberbefehlshaber der revolutionären Mobilgarden [Revolution und Konterrevolution]. Das aufständische Wien vermag sich bis Ende des Monats zu halten; am 29. Oktober verlässt Bem spätnachts das Hofkriegsratsgebäude, um sich in den Gasthof Zum Apfel auf der Wieden zu begeben, von wo aus sich seine Spur in der gespenstisch erhellten Nacht des brennenden Wien verliert – bis er am 1. November in Preßburg mit Lajós Kossuth zusammentrifft und mit der Eroberung Siebenbürgens für die ungarische Revolution beauftragt wird. Mit seiner kleinen Honvéd-Streitmacht gelingt ihm ein ebenso glänzender wie erfolgreicher Feldzug, ehe er mit den ungarischen Aufständischen am 9. August 1849 bei Temesvár gegen die vereinigte österreichisch-russische übermacht untergeht und sich gezwungen sieht, mit dem Rest seiner Truppen die osmanische Grenze zu überschreiten.

Bem konvertiert (zusammen mit mehr als 70 Offizieren und ca. 6.000 ungarischen wie polnischen Soldaten) zum Islam und erhält als Murat (Amurat) Pascha ein hohes Armeekommando sowie den Oberbefehl über Aleppo, wo er im Oktober 1850 pogromartige übergriffe der muslimischen gegen die christliche Bevölkerung der Stadt gewaltsam niederschlägt. Keine zwei Monate später stirbt der „polnische General“; ein halbes Jahr davor war er in Wien in effigie zum Tode verurteilt und an seiner statt eine Blechtafel an den Galgen geschlagen worden. Sein tatsächliches Ableben ließ sich die k. k. Vertretung in Konstantinopel in einer förmlichen Erklärung bestätigen.

– Wolfgang Maderthaner –

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"Aburtheilung" des Joseph Bem

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Kriegsratsprotokoll 112/1849: betrifft die Aburtheilung des flüchtigen Insurgenten-Chefs Joseph Bem

Józef Zachariasz Bem (1794–1850)

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Józef Zachariasz Bem (1794–1850), polnischer General und Mitkämpfer Lajós Kossuths während des ungarischen Aufstandes 1848/49.

Das Ableben des General Bem

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5. Februar 1851, Konstantinopel. Meldung über das Ableben des General Bem.

Josef Bem

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Namensschild, das an Stelle von Józef Zachariasz Bem 1850 an den Galgen genagelt wurde.