Die Habitués vom Galgenturf

Dokument 38

öffentliche Hinrichtungen zur Abschreckung und zur „Hatz“ einer erregten Menge – „Sex & Crime“, Schuld und Sühne: die Gemischtwarenhändlerin Theres Kandl im Angesicht des Galgens (1809).

 

Hübsch muss sie gewesen sein, ausnehmend hübsch sogar, die einer wohlhabenden Atzgersdorfer Schlosserfamilie entstammende 22-jährige Fragnerin (Gemischtwarenhändlerin) aus dem Matzleinsdorfer Vorort Hungelbrunn (heute Wiedner Hauptstraße), mit ihrem gescheitelten, rückwärts zu einem Knoten gebundenen Haar, ihrem langen, „blütenweißen“ Hals und ihrem (wie das Gerichtsurteil als mildernden Umstand vermerkte) „wilden und hitzigen Temperament“. Ein uneheliches Kind hat sie zur Welt gebracht, die Theres Kandl, mit Hilfe der Hebamme in ein Findelhaus gegeben, wo es, gleich so vielen anderen, nach kurzer Zeit schon starb. Sie heiratet, wenn auch nicht den Vater ihres Kindes, und in der Ehe mit einem brutalen, zum Alkoholismus neigenden Mann durchlebt sie binnen Kurzem eine Art Vorhölle. Nach nur acht Wochen, in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1808, erschlägt sie mit einer Hacke ihren im Bett schlafenden Ehemann. Sie verstaut die Leiche in einem hölzernen Traggestell und deponiert sie an der Rückseite des Wiedner Militär-Transporthauses, nahe der Tempelmauer, geschickt so, dass zunächst allgemein von einem Raubmord ausgegangen wird. Erst die Ergebnisse der Obduktion lassen massive Zweifel an dieser Version aufkommen. Im Polizeiverhör bricht Kandl – nachdem sie vergeblich ihren ehemaligen Liebhaber zu belasten versucht hat – schließlich zusammen. Am 17. Jänner 1809 wird sie zum Tod durch den Strang verurteilt, der Kaiser bestätigt am 3. März den Richterspruch; die Exekution, welche die einzige öffentliche Hinrichtung einer Frau durch den Strang in der Reichshauptstadt bleiben sollte, wird für den 16. März festgelegt.

Drei Tage davor war das Urteil vom Balkon des Gerichtshauses am Hohen Markt verkündet und Kandl auf der „Schandbühne“ öffentlich ausgestellt worden. Doch dann geschah etwas im höchsten Maße Unerwartetes: Ein förmlicher Massenzulauf setzte ein, der alles bisher Dagewesene in den Schatten zu stellen schien. Und als in den Morgenstunden des 16. März der Tross mit der bildhübschen Gattenmörderin aufbricht, begleiten Zigtausende deren letzten Weg hinaus zur Richtstätte bei der Spinnerin am Kreuz, weit vor den Toren Wiens. 332 Mann Infanterie und 30 Mann Kavallerie müssen zur Sicherung der öffentlichen Ordnung aufgeboten werden. In dem von Glossy herausgegebenen Tagebuch eines anonymen Wieners bemerkt der Schreiber, er habe noch nie in seinem Leben eine derart große Menschenansammlung gesehen „als wie heute bei dieser Exekution“. Couragiert und seelenruhig tritt Theresia Kandl ihren letzten Weg an, und sie scheint das Schauspiel zu genießen. Bis zum Schluss, bis hin zu dem Moment, da sie unter dem Galgen steht, spielt sie dabei mit Ebenen des Mehrdeutigen und Frivolen. Noch als der Henker ihr den Hals frei macht, um ihr die Schlinge umzulegen, fragt sie nach, ob sie nunmehr vielleicht zur Gänze entblößt werden solle. „Im nächsten Augenblick“, so berichtet die Chronik, „hatte sie vollendet.“

Das Exekutionsspektakel ist integraler Bestandteil eines archaischen, Konventionen und Tabus überschreitenden öffentlichen Festes der Masse, ein abgründiges, bedrohliches und zugleich anziehendes Spektakel. Nirgendwo zeigt sich dessen Funktion deutlicher als in der „Hatz“ und im Volksfest, das mit öffentlichen Hinrichtungen stets verbunden ist. Das Derbe und Herbe, der Spott, der Schrecken und die Sensation, die Spannung und der Nervenkitzel, schrankenlose Heiterkeit, hemmungsloses Begehren und rüde Triebabfuhr waren das Ziel. Eingebunden in ein Dasein, in dem es noch keine strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gab, wirken diese Feste noch bis in eine Zeit nach, da die industrielle Moderne längst ihren Siegeszug angetreten hatte. So berichtet der liberale Feuilletonist Friedrich Schlögel anlässlich der am 30. Mai 1868 an dem 23-jährigen Raubmörder Georg Ratkay vollzogenen letzten öffentlichen Exekution in Wien, dass bereits am Vorabend Schaulustige in großer Zahl zur Spinnerin am Kreuz gezogen waren, um das riesige Areal „lachend und kreischend und johlend und jubilirend“ in Besitz zu nehmen. „Es waren die ‚Habitués vom Galgenturf‘ beiderlei Geschlechts, confiscirte Gesichter, Stammgäste der anrüchigsten Kneipen, stabile Insassen der schmutzigsten Höhlen des Elends und des Lasters, ein mixtum compositum aus der vielköpfigen Genossenschaft der Gauner ... Alles, was von der gewissen Sorte nicht in Zuchthäusern, Spitälern und sonstigen k.u.k. Besserungsanstalten gerade verwahrt gewesen, war der ‚Hatz‘ vorangezogen. Bis der Morgen graute, trieb das Gesindel den heillosesten Unfug ...“

– Wolfgang Maderthaner –

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Relation der obersten Justizstelle

Dokument 38

10. Februar 1809, Wien. Relation der obersten Justizstelle und Bestätigung des Todesurteils für Theresia Kandl durch Erzherzog Reiner auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers.

Abschliedslied für Theresia Kandl

Dokument 38

Reuevolles und zur Warnung dienendes Abschliedslied für Theresia Kandl

Todesurtheil Theresa Kandl

Dokument 38

Todesurtheil welches von dem Magistrate am 16. März 1809 mit dem Strange vollzogen worden ist.