Vom Umgang mit unerwünschten Untertanen

Dokument 29

Was den Engländern Australien, ist dem Habsburgerreich der Banat: Zwischen 1744 und 1768 werden mehr als 3000 „unerwünschte“ Personen – Bettler, Diebe, Prostituierte, Wilderer, Schmuggler und andere Straftäter oder Verdächtige – abgeschoben.

Viele Regime mit einem ausgedehnten Herrschaftsbereich kamen im Laufe der Zeit auf ähnliche Methoden, sich missliebiger Untertanen zu entledigen – man schickte sie in abgelegene Gebiete oder gleich an die äußersten Grenzen des Imperiums.

Auch das maria-theresianische Österreich verfuhr fast ein Vierteljahrhundert lang, von 1744 bis 1768, nicht anders: Unerwünschte Untertanen aus der Stadt Wien und deren engerer Umgebung wurden zwangsweise in das am südöstlichen Rand des Reiches gelegene, unwirtliche Banat abgeschoben: Bettler, Diebe, Prostituierte, Wilderer, Schmuggler oder auch nur einer solchen Straftat Verdächtige, vereinzelt auch religiöse „Abweichler“ und politisch Auffällige wurden, wenn sie ins Visier der Behörden gerieten, interniert und mit Schiffen donauabwärts, dann über die Theiß und den Begakanal nach Temesvár gebracht, ein Gerichtsverfahren war dazu nicht notwendig. Der Aufenthalt dort war in der Regel für eine festgesetzte Anzahl von Jahren vorgesehen, es gab aber auch lebenslängliche Deportationen. Auch die Art des Aufenthalts variierte; es gab die Möglichkeit, sich im Banat frei zu bewegen, fast mit den freiwilligen Ansiedlern gleichgestellt (ad impopulandum), es gab das Arbeitshaus und es gab das Zuchthaus, dessen Insassen in Ketten gelegt wurden.

Mit der Zeit bildeten sich feste Abläufe aus. In periodischen Abständen (meist je ein Transport im Frühjahr und Herbst) wurden Schiffe organisiert und die im Arrest Einsitzenden zwangsverfrachtet, zwischen 1752 und 1768 insgesamt 3.130 Personen – die Zahlen aus den Jahren davor sind nicht vollständig dokumentiert.

Manche Personen, die zum Wasserschub verurteilt waren, hatten sich keines Vergehens im eigentlichen Sinne schuldig gemacht, sondern wurden aufgrund der negativen Beurteilung ihres Verhaltens oder ihrer Lebensumstände abgeschoben. Dies traf vor allem Frauen mit dem Verdikt „Verdächtiger Lebenswandel“, wofür es manchmal reichte, in der Nacht alleine auf der Straße angetroffen worden zu sein. Die repressiven Maßnahmen sollten abschreckend wirken, verfehlten allerdings die gewünschte „Hebung der Sittlichkeit“ im Sinne Maria Theresias. Soziale Notlage, das Fehlen anderer Erwerbsmöglichkeiten und wohl auch die Nachfrage sorgten für einen steten Nachwuchs an Prostituierten.

Am Anfang stand ein Horrorszenario: Von den ersten beiden Transporten im September 1744 und Mai 1745 überlebte gut die Hälfte der Abgeschobenen die Fahrt nicht. Später versuchte man, die Transport- und Aufenthaltsbedingungen so weit zu verbessern, dass diese Anhäufung von Todesfällen vermieden werden konnte. Die (hygienischen) Umstände blieben aber so bedrückend, dass viele Betroffenen trotz aller Kontrollmaßnahmen das Banat so schnell wie möglich wieder zu verlassen suchten.

Die Delinquenten sollten, dem Zeitgeist entsprechend, für das Staatswesen produktiv eingesetzt werden. Durch Arbeit sollten sie, unter geistlicher Aufsicht, „gebessert“ werden: Frauen steckte man in ein provisorisch eingerichtetes Arbeitshaus, wo sie Spinn- und Strickarbeiten zu verrichten hatten, Männer in notdürftig adaptierte Kasematten, von wo man sie unter Bewachung zu verschiedenen Arbeiten wie Räumung der Kanäle der Stadt Temesvár heranzog, andere für den Festungsbau. Die banatische Landesadministration selbst konnte mit den Ankommenden meist nicht viel anfangen: Zuchthaus und Arbeitshaus in Temesvár waren chronisch überbelegt, die erzeugten Textilien schwer abzusetzen, sonstige Manufakturen und Handwerk gab es zu wenig, Arbeitskräfte in der Landwirtschaft wurden kaum benötigt.

Ein weiterer Aspekt des Wasserschubs ist zugleich ein Beleg für den Pragmatismus der Herrscherin: Unzufrieden mit den Ergebnissen ihrer Ansiedlungspolitik im Banat, ließ Maria Theresia prüfen, ob nicht, „nachdeme die Tabellen das männliche Geschlecht zahlreicher als das weibliche ausweisen, ein Menge deren hier befindlichen strafbaren Weibs- Personen dahin verschaffet, und daselbst zur Population mit Nutzen angewendet werden könnte“. Die intendierten bevölkerungspolitischen Effekte blieben jedoch weitestgehend aus. So sind nur zwei Eheschließungen von deportierten Frauen aktenmäßig nachweisbar, weitere Ehen könnten aber ohne schriftliche Heiratserlaubnis geschlossen worden sein. Die staatlicherseits in Kauf genommene Vermischung zwischen Wasserschub und Ansiedlung verschlechterte jedoch das spätere Bild des Banats nachhaltig.

Das zeigt sich in persönlichen Schilderungen und Memoiren, aber auch in den Berichten der Verwaltung. Die Quellenlage ist lückenhaft, wenn auch nicht untypisch: Es haben sich keine polizeilichen Aufzeichnungen oder jene der berüchtigten Keuschheitskommission erhalten, sondern nur die Akten der Finanzbehörden, die für die Kosten der Transporte, Bewachung und Unterbringung der Delinquenten zuständig waren. Hier finden sich Berichte, Abrechnungen und detaillierte Listen über die verschickten und festgehaltenen Personen.

Die Transportlisten enthalten meist Namen, Alter, Herkunftsort, Religion, Familienstand, Delikt und mögliche frühere Verurteilungen. Als häufigste Vergehen finden sich darin bei Männern Bettelei und Landstreicherei, (Tabak-)Schmuggel („Schwärzung“), Wilderei („Wildpret-Schiessen“, ferricidium), Viehdiebstahl (abigeatum), Hilfe für Deserteure („Deserteursverhehler“) und Schmähung der Religion. Bei Frauen war der Spitzenreiter bei den Vergehen (Verdacht der) Prostitution („nächtliche Betretung“, „Liederlichkeit“, „sträfliche Aufführung“, in puncto carnis), danach kamen Bettelei, Diebstahl („Schnipferey“, furtum), Erpressung (concussio), oft in Verbindung mit Ehebruch (adulterium). Häufig waren auch bei beiden Geschlechtern mehrfache Verschickungen nach unerlaubter Rückkehr aus dem Banat (reversio). Manche wurden bis zu fünf Male wieder abgeschoben, sodass sich das Verschickungssystem zu einem Kreislauf entwickeln konnte.

1768 kam diese spezifische Praxis des Abschaffens missliebiger Personen zu ihrem Ende – gehäufte Todesfälle durch die schlechten hygienischen Bedingungen, vor allem aber ein Besuch Kaiser Josephs II. im Banat, der sich über die örtlichen Zustände entsetzt zeigte, führten dazu, dass der Wasserschub eingestellt wurde.

– Herbert Hutterer –

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Wasserschub

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Die Geringen, Armen, Vergessenen finden nur höchst selten Niederschlag in den Annalen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte. Eines der wenigen Beispiele sind die sogenannten Wasserschubakten der Theresianischen Administration, 1752–1768, Wien. Auszug aus Transportlisten abgeschobener Personen, 1757.