Modern times #2

Dokument 31

Rastlos und zwangsneurotisch verfolgt Kaiser Joseph II. seine tiefgreifende, dem Gedankengut des aufgeklärten Absolutismus verhaftete, zukunftsorientierte Reformtätigkeit. „Von oben herab“ entzündet seine Zentraladministration ein Feuerwerk gesamtgesellschaftlich durchdeklinierter Maßnahmen.

Im Alter von 24 Jahren war er Mitregent seiner Mutter Maria Theresia, wie er auch in der Nachfolge seines Vaters Franz Stephan von Lothringen zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gewählt wurde. Joseph II. verkörperte einen gänzlich neuen Stil des Regierens, in geradezu paradigmatischer Weise verstand er sich als „Erster Diener des Staates“. Asketisch, ruhelos, aktionistisch, kompulsiv verfolgte er – als Inbegriff dessen, was Zeitgenossen wie Geschichtsschreibung als „aufgeklärten Absolutismus“ bezeichnen sollten – eine in Vernunft, Rationalität und Logik begründete, funktionalistische Staatsideologie. Gerade so, als wäre dem 49-jährig Verstorbenen bewusst gewesen, dass ihm nicht hinreichend Spielraum zur Umsetzung seiner visionären, antifeudalen Zielvorstellungen bleiben würde, trieb er die Theresianischen Reformen mit ungekannter Konsequenz weiter, radikalisierte und verdichtete sie zu einem bis dahin einzigartigen Modernisierungsprojekt. Er eröffnete der „absoluten“ Monarchie eine weitgehende, wenn auch durchaus volatile Autonomie gegenüber den Interessen und Machtansprüchen des grundbesitzenden Adels.

Joseph II. war unzweifelhaft ein Revolutionär auf dem Kaiserthron, wenn auch ein bürokratischer Revolutionär. Zum Instrument seines Gestaltungswillens machte er eine staatliche Bürokratie, die sich zu einem guten Teil aus der deutschsprachigen gehobenen Mittelschicht rekrutierte und sich von der adeligen Grundherrenklasse in sozialer wie kultureller Hinsicht entschieden abhob. Diese verbürgerlichte, vom Prinzip der sozialen Gleichheit geleitete, nach einem rigorosen Senioritätsprinzip organisierte Administration wurde für ihn zu einer Obsession: Bis ins kleinste Detail versuchte er sie anzuleiten, ihre ausschließliche Loyalität hatte dem Staatswohl und nicht der Dynastie zu gelten, durch sie wurde die aufgeklärte Politik des Herrschers dem „Volk“ oktroyiert.

Die Einrichtung einer zahlenmäßig relevanten, professionellen Bürokratie, die Entwicklung eines stehenden Heeres von über 100.000 Mann, die Großmachtpolitik des Hauses Habsburg insgesamt setzten die äußeren Rahmenbedingungen des „aufgeklärt-absolutistischen“ Reformprojekts; sie verlangten zugleich eine markante Neuausrichtung des Steuer- und Staatsschuldenwesens. In diesem Sinne kam einer allseitigen Freisetzung und Entwicklung der Produktivkräfte oberste Priorität zu. Die Grundschulbildung wurde weiter intensiviert (am Ende der Regierungszeit des Kaisers hatte bereits eines von drei Kindern die Volksschule besucht). Die Universitäten wurden vom Staat übernommen, aktualisierte Curricula sollten vor allem das Ingenieurswesen und die Ausbildung von technisch-administrativen Fachkräften auf eine neue Basis stellen. Die Zensur wurde aus dem Zuständigkeitsbereich der katholischen Kirche gelöst und weitgehend abgeschafft, die Rechtsprechung reformiert und modernisiert, die Strafgewalt der gutsherrlichen Gerichte eingeschränkt.

Spektakulär aber wendet sich der Josephinismus gegen die zentrale Säule des alten feudalen Macht- und Herrschaftsgefüges, die römisch-katholische Hierarchie, durchbricht deren Glaubensmonopol und revidiert den bislang von der Dynastie offensiv gepfl ogenen politischen Katholizismus. Die Kirche wird der staatlichen Bürokratie und Regulierung unterstellt, eine Reihe, wenn auch keineswegs alle, ihrer bisherigen Privilegien verfallen, der gesamten Kirchenpolitik ist eine „weltliche“ Logik unterlegt. Die Macht des Papstes wird in den Erblanden drastisch beschränkt, die Kirche sukzessive in eine Art Staatsanstalt verwandelt, in ein Herrschaftsinstrument des Absolutismus: Der Kaiser ist es, der die Bischöfe ernennt, die kirchlichen Vermögensverhältnisse ordnet, Generalordnungen für Stifte und Klöster erlässt. 1782 wird die Säkularisierung jener rein kontemplativen Orden, die „weder Schulen hielten noch Kranke pflegten“, angeordnet (Klosteraufhebungen) und ihr Vermögen der staatlich regulierten Seelsorge zugeführt (Religionsfonds). Im selben Jahr, in dem die Zensur abgeschafft wurde, werden die Toleranzedikte für Protestanten, und später auch für Juden, proklamiert. Mit dem Erwerb Galiziens 1772 hatte sich die jüdische Bevölkerung der Monarchie auf ca. 350.000 mehr als verdoppelt; in jenen Ländern, in denen ihr Anteil ein signifikantes Maß erreichte (Galizien, Ungarn, Böhmen, Mähren), bekamen die Juden nunmehr das Recht auf die Ausübung bestimmter Professionen, handwerklicher Berufe, öffentlicher Dienste zugesprochen. Nach wie vor allerdings unterlagen sie in Bezug auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, Verheiratung etc. strikten Restriktionen; wie überhaupt die josephinischen Toleranzedikte Emanzipation vorwiegend in den Kategorien einer (vor allem auch sprachlichen) Assimilation definierten.

So weitreichend und wirkmächtig dieses Maßnahmenbündel auch gewesen sein mag, es bewegte sich doch innerhalb des konventionellen Rahmens eines aufgeklärt-absolutistischen Reformprojekts, das ganz allgemein auf eine (überfällig gewordene) gesamtgesellschaftliche Modernisierung abzielte. Seine volle Sprengkraft entfaltete dieses Projekt erst, als es daranging, das soziale Verhältnis von abhängig-hörigen Produzenten und grundbesitzender Aristokratie drastisch zu verändern und damit die zentralen ökonomischen Interessen des Großgrundbesitzes infrage stellte.

– Wolfgang Maderthaner –

Mehr Weniger

Abschaffung der Todesstrafe

Dokument 31

Allerhöchstes Handschreiben Josephs II. 3. Mai 1781

Delinquent mit Spinnrad

Dokument 31

Bildliche Vorschläge zur „Substituierung“ der Todesstrafe durch „angemessene“ Leibesstrafen. März 1781, Wien.

Angeketteter Sträfling

Dokument 31

Bildliche Vorschläge zur „Substituierung“ der Todesstrafe durch „angemessene“ Leibesstrafen. März 1781, Wien.

Sträflinge beim Karrenziehen

Dokument 31

Das Prinzip der Humanität (Abschaffung der Todesstrafe) verbindet sich mit dem Prinzip kapitalistischer Rationalität und Arbeitsdisziplin. März 1781, Wien.