Bílá Hora

Dokument 17

Weit schrecklicher als die Schlacht am Weißen Berg im November 1620 erweist sich das nachfolgende Strafgericht, das über die revoltierenden böhmischen Stände hereinbricht und die soziale Ordnung revidiert – Gegenreformation in grausamer Reinkultur.

Die gewaltige ökonomische Umwälzung, die am Übergang zur Neuzeit steht, hatte in Böhmen die treibende Kraft dieses Prozesses, die Deutschen, mit bedeutender gesellschaftlicher wie auch symbolischer Macht ausgestattet. Mit der in Böhmen frühzeitig einsetzenden kontinuierlichen Ausweitung der Güter- und Warenproduktion geht eine geistige, kulturelle Revolution einher, die bemerkenswerte Konsequenzen auf mehreren Ebenen zeitigt: In dem reichsten und höchstentwickelten der habsburgischen Länder nimmt die Auseinandersetzung der mächtigen Stände mit der staatlich-fürstlichen Gewalt eine sozusagen „nationale“ Dimension an. Die Hussitenkriege [Am Tabor] leiten eine Phase massiver tschechischer Reaktion gegen die deutsche Dominanz ein, die nicht zuletzt auch die Form eines Sprachenkampfes annimmt. Zugleich hat Böhmen in diesen Kriegen seine Reformationsperiode durchlaufen, haben sich die Stände im Gefolge der wirtschaftlichen Umwälzung jener allgemeinen Umwertung aller überlieferten Werte bemächtigt: Das Evangelium wird ihnen zum Kampfmittel gegen die fürstliche Zentralgewalt, die Reformation gibt der latenten Opposition Richtung und Ausdruck. Zunächst wird die überwältigende Mehrheit der böhmischen Grundherren lutherisch, ihnen folgt die magyarische Gentry *, die zum Calvinismus übertritt, und bis zu den 1570er-Jahren sind auch die großen Adelsfamilien der Erblande protestantisch: Dietrichstein, Khevenhüller, Starhemberg, Zinzendorf. Der Landesherr seinerseits tritt den protestantischen Ständen als Sachwalter der katholischen Kirche entgegen.

Mit Ferdinand von Steiermark war 1617 ein von bayrischen Jesuiten erzogener, ebenso entschiedener wie entschlossener Exponent der Gegenreformation König von Böhmen geworden, der kompromisslos administrative Zentralisierung mit religiöser Repression zu verbinden suchte und sich unmittelbar mit einer Revolte des protestantischen tschechischen Adels konfrontiert sah. Das Fanal des Prager Fenstersturzes vom 23. Mai 1618 war eine Kriegserklärung an den Kaiser und Symptom eines vielschichtigen und tief greifenden zentraleuropäischen Krisenszenarios, das in die Verheerungen und Devastierungen des Dreißigjährigen Krieges münden sollte. Die dynastische Autorität brach in Böhmen gänzlich in sich zusammen, schlimmer noch – erstmals eröffnete sich die Perspektive einer alle habsburgischen Länder erfassenden Adelsrebellion. Nachdem der böhmische Adel in den Hussitenkriegen die Taboriten (und damit die tschechische Demokratie) grausam niedergeworfen hatte, vermochte er es jedoch nicht, für seine Sache breitere gesellschaftliche Unterstützung zu gewinnen. Unter Einsatz massiver spanischer Militärhilfe wird die Macht der revoltierenden böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg (Bílá hora) vom 8. November 1620 gebrochen – mit fatalen Konsequenzen.

Im Prager Blutgericht vom 21. Juni 1621 werden auf dem Altstädterring 27 Standesherren exekutiert, 22 davon tschechischer und fünf deutscher Herkunft, während Kaiser Ferdinand in Mariazell eine Nacht auf den Knien liegt, um für das Seelenheil der „Rebellen“ zu beten. Die erste Tat der Gegenreformation war also die Vernichtung des alteingesessenen Adels, dessen Güter beschlagnahmt und dessen Anführer hingerichtet wurden, während man die Überlebenden – wie auch die gehobenen Schichten des evangelischen Bürgertums – ins Exil zwang. Ihren Landbesitz verteilte die Krone, oft genug anstelle des ausstehenden Solds, an Abenteurer und Kriegs-Desperados unterschiedlichster Herkunft – sei es (inner-)österreichisch (Trauttmansdorff), deutsch (Schwarzenberg), italienisch (Piccolomini), slowenisch (Auersperg), wallonisch (Bucquoy), lothringisch (Desfours) oder irisch (Taaffe). Der militärischen Wiedereroberung Böhmens folgten somit die umfassende Vertreibung und vollständige Enteignung der aufständischen Adeligen – ein bis dahin wohl einzigartiges Vorgehen. Die neue Aristokratie aber passt sich dem Herrscherhaus an und wird bis in das ausgehende 19. Jahrhundert sozusagen „deutschen“ Charakter tragen, sofern im Falle des übernationalen, überwiegend französisch sprechenden Hochadels eine solche Zuordnung überhaupt getroffen werden kann.

Die Güterkonfiskationen erreichten enorme Ausmaße, und das Verhalten der landesfremden, im und durch den Krieg sozialisierten Grundherren gegenüber der tribut- und robotpflichtigen Bauernschaft war von einer maßlosen Ertragsmaximierung bestimmt; gescheiterte Bauernaufstände wie jener von 1679/80 sollten das Ausbeutungsverhältnis lediglich verschärfen. Doch auch die politische Funktion der emporgekommenen, kosmopolitischen Herrenschicht änderte sich: Die Ständeversammlungen gerieten zunehmend inhaltsleer und bedeutungslos, soziale Macht definierte sich nicht länger aus dem Kampf gegen den Staat, sondern aus der Funktion als Staatsorgan, aus der Stellung in Heer und Bürokratie. Unmittelbar nach der Schlacht am Weißen Berg und wenige Jahre nach der größten Machtentfaltung der Stände konnte die landesherrliche Gewalt die Konsequenzen ihres Siegs allerdings nur bedingt ziehen. Erst das von Ferdinand II. erlassene Grundgesetz von 1627 („Verneuerte Landesordnung“) hat die Macht der Stände weitgehend beschränkt, die Landesämter der königlichen Verfügungsgewalt überantwortet, die Wahlmonarchie beseitigt, Böhmen zum Erbbesitz der Habsburger gemacht, die planmäßige, gewaltbesetzte Rekatholisierung eingeleitet und den Katholizismus mit einem Konfessionsmonopol ausgestattet.

Denn dies ist Sinn und Wesen der Gegenreformation: die Unterwerfung der ketzerischen Feudalherren unter den katholischen Fürsten bei gleichzeitiger Unterwerfung der ketzerischen Bauern unter die Feudalherren. Das Land wird „katholisch gemacht“. Die neue Aristokratie eignet sich das im Dreißigjährigen Krieg verödete Bauernland an, immer mehr Grundbesitz fällt in die Hände einiger weniger. Die hörige Bauernschaft hingegen wird zu vermehrtem Frondienst gezwungen und hat nunmehr de facto auch die Steuerlast zur Gänze zu tragen. Zugleich verkommen, als Folge der Verwüstungen des Kriegs und der Protestantenvertreibung, die Städte; die Bevölkerung Böhmens – zu Ende des 16. Jahrhunderts noch 2,5 Millionen Menschen – war bis Kriegsende 1648 um mehr als zwei Drittel auf eine geschätzte Zahl von 700.000 gefallen. Die tschechische Sprache verschwindet aus der staatlichen Verwaltung, wird zum Unterschicht-Idiom. Überhaupt folgt dem materiellen der kulturelle Niedergang: Mit der Vernichtung des alten Adels und der Verbannung des Bürgertums verfällt die geistige Kultur der Tschechen für gut zwei Jahrhunderte.

– Wolfgang Maderthaner –


*Die magyarische Gentry (ungarisch: dzsentri) war traditionell ein wesentlicher Teil jenes grundbesitzenden Adels, der über die erdrückende Mehrheit des Bodens verfügte und der das überwiegend agrarisch strukturierte und feudal organisierte Ungarn nahezu hegemonial beherrschte. Bis in das beginnende 19. Jahrhundert hinein wurden der Gentry an die sieben Prozent der Gesamtbevölkerung zugerechnet, im Schnitt besaßen die Angehörigen ihrer Kernschicht jeweils über 1000 Hektar Land. Im Zuge der krisenhaften politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, im Besonderen aber nach der großen Spekulationskrise des Jahres 1873 waren Teile dieser Adelsschicht Armut und Deklassierung ausgesetzt, nahmen aber auch Spitzenstellungen in der staatlichen Bürokratie ein. In ihrem beharrlichen Festhalten an den überlieferten Werten und Axiomen der magyarischen Nation wurden sie, nach Ende der Räterepublik, zu einer entscheidenden Bastion des faschistischen Horthy-Regimes.

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Verneuerte Landesordnung für Böhmen

Dokument 17

Verneuerte Landesordnung für Böhmen aus 1627, vielfach als das erste Dokument eines habsburgischen Absolutismus interpretiert. Jedenfalls hatte es bis auf weiteres die gänzliche Entmachtung der böhmischen Stände zur Folge. Titel- und erste Seite des erweiterten Exemplar aus 1640.