Reformation und Gegenreformation

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Im Zuge des früh-industriellen gesellschaftlichen Wandels geht die Saat des Protestantismus im 16. Jahrhundert rasch auf. Konfessionell motivierte Migrationsbewegungen beginnen, politische Lager formieren sich: Habsburg stellt sich an die Spitze der katholischen Gegenreformation.

Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt. Demgemäß war es Sinn und Zweck der mittelalterlichen, universellen, römischen Kirche des Feudalismus, diese Welt zu überwinden. Der Weg zum Triumph des Spirituellen in der angestrebten Weltverneinung führte aber – konsequenterweise – über die Weltbeherrschung. Dafür hatte die katholisch-römische Hierarchie, verkörpert in Papst und hohen Kirchenfürsten, tatsächlich jegliche Mittel angewendet – wenn es sein musste, auch gute. Zwar hatte das Ziel einer geistlichen Weltmonarchie aufgegeben werden müssen, dennoch beanspruchten die Päpste als Statthalter Christi alle Gewalt auf Erden. Sie begriffen Kaiser und Könige als ihre Vasallen und Lehensmänner, deren Wahl zu bestätigen oder zu verwerfen, über die zu richten und politisch zu entscheiden sie berufen waren. Alle Staatsgewalt, jegliche Wirtschaftsordnung, die Wissen- schaften gleichermaßen wie die Künste waren der Kirche untertan, trugen den Stempel ihres Geistes. Sie häufte Gerichts- und Steuerprivilegien ebenso wie enormes Grundeigentum an, und wie den weltlichen waren die Bauern auch den geistlichen Grundherren tribut- und robotpflichtig. Die Kirche wurde so zur gewaltigsten Herrschaftsorganisation, zur hegemonialen geistigen Macht der feudalen Welt.

Mittel und Methoden aber gerieten zum alleinigen Zweck, Kurie und hoher wie niederer Klerus, welche die Welt hatten überwinden wollen, gingen auf im Irdischen und in dessen Abgründen. Die von Kaiser Ferdinand I. und hohen katholischen Fürsten angeordneten ersten diesbezüglichen Untersuchungen erbrachten erschreckende Ergebnisse. Eine große Anzahl der Klöster stand leer oder halb leer, andere ließen sich von gemeinen Bordellen nur mehr schwer unterscheiden, praktisch überall verfiel die geistliche Disziplin, herrschten Korruption und „Verderbnis der Sitten“. Der Aufschrei gegen die „reiche, die verkommene, die zu Babylon gewordene“ römische Kirche (Friedrich Heer) ist allgegenwärtig und unüberhörbar und wird sich in den revolutionären Stürmen der Reformation verdichten.

An Gott solle man glauben und nicht an die Kirche, predigt der große Reformator Jan Hus zu Prag. Und das hoch entwickelte Böhmen ist es auch, das zu einem ersten Zentrum reformatorischer Aktion, zum „Gelobten Land der Ketzer“ wird [Am Tabor].

Die gewaltige Bewegung der Reformation, die dann im 16. Jahrhundert Europa erschüttert und durch das Wirken Martin Luthers ihre weltgeschichtliche Bedeutung erhält, ist vor allem anderen auch eine geistige Revolution von bislang unbekannter Dimension. Im „Schoße der feudalen Gesellschaft“ hatten sich die Städte, der Bergbau, der Handel entwickelt und damit den Grundstein dessen gelegt, was Jahrhunderte später zur industriekapitalistischen Moderne heranreifen sollte. Es ist eine tief greifende Transformation, die die alten sozialen Bande zerreißt, die Gesellschaft wie auch deren hergebrachte religiöse Vorstellungen umbildet, die Menschen aus dem Bann des überlieferten löst und die All- macht des religiös Tradierten sprengt. Und die wesentliche Triebkraft solcher Entwicklung ist der Kampf gegen jede kirchliche und spirituelle Tradition.

Denn alles mittelalterliche Denken ist vom Religiösen her bestimmt und geformt. Die Menschen der Epoche der Reformation hingegen beginnen die Welt als das Resultat konkurrierender individueller Kräfte zu denken – mit weitreichenden Konsequenzen: Denn es ist nicht länger die göttliche Vorsehung, die über Seligkeit oder Verdammnis entscheidet, sondern vielmehr das eigene Handeln. Unaufhaltsam dringt die neue Lehre auch in die österreichischen Lande ein, und sie findet ihren stärksten Wiederhall nicht nur dort, wo sie auf einen alten „ketzerischen“ Untergrund trifft, sondern vor allem dort, wo sich im Bergbau und in der frühen Industrie langsam neue, sozusagen frühkapitalistische Produktions- und Organisationsformen etablieren. Dazu gehören die stolze und reiche Eisenstadt Steyr und ihre an der Ybbs gelegene ewige Konkurrentin Waidhofen (nebst den alten Ketzernestern wie Zwettl oder Horn), das Salzkammergut, Goisern, Aussee, Gastein, Schladming und weite Teile der Obersteiermark, Oberkärnten mit der Spittaler Gegend, ganze Salzburger und Tiroler Landstriche. In Wien, so der Hofprediger Martin Eisengrein, gäbe es „kaum noch eine Spur“ des Katholischen zu finden. In den (von Luther in überaus drastischer Rhetorik scharf angegriffenen) Bauernkriegen, die im Namen des wahren Christentums geführt werden, findet die revolutionäre Bewegung ihren Höhepunkt.

Nicht ohne Zögern ergreift das Haus Habsburg Partei für die römische Kirche und ihre Nomenklatur. Immerhin hatte man über die Jahrhunderte um die Ernennung von Bischöfen und die Errichtung souveräner, von Salzburg unabhängiger Landesbistümer, um die kirchliche Steuerpflicht und die Grenzen der kirchlichen Gerichtsbarkeit leidenschaftliche, bisweilen blutige Konflikte ausgetragen. Andererseits galten die Deutschen Kaiser als Hüter und Verteidiger der Kirche und waren dazu verpflichtet, dem römischen Papst und dem Heiligen Römischen Reich die „schuldige Unterwerfung“ zu leisten. So bleibt Habsburgs Haltung – nicht zuletzt unter dem Eindruck der permanenten osmanischen Bedrohung [Türkengefahr] – längere Zeit wenn schon nicht indifferent, so doch auch nicht völlig eindeutig. Maximilian II. etwa neigt, unter dem Einfluss seiner lutherischen Berater am Wiener Hof, überhaupt dem Protestantismus zu. Erst Ferdinand II. und Ferdinand III. werden – vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Kriegs – zu ebenso kompromisslosen wie fanatischen Exekutoren der Gegenreformation; einer katholischen Restauration, die – ausgehend von der Steiermark – mit brutaler Machtlogik in Szene gesetzt wird.

Verbrannt werden Dörfer und Städte, Kirchen und Bücher, verbrannt, gepfählt, gehenkt, ertränkt werden auch Menschen; an die 100.000 Ketzer werden ins Exil gezwungen – wobei die protestantischen Vertriebenen sogenannte „Abfahrgelder“, eine Art Reichsfluchtsteuer, zu entrichten hatten. Es ist ein Zivilisationsbruch, ein ungeheuerlicher Substanzverlust in ökonomischer und intellektueller Hinsicht, vergleichbar nur dem erzwungenen jüdischen Exodus im nationalsozialistischen Terrorstaat. Mit staatlicher Zwangsgewalt wird die Bevölkerung katholisch gemacht, den kirchlichen Geboten unterstellt, dem katholischen Lehrmonopol überantwortet.

In jenen Ländern, wo die Reformation siegreich blieb, traten die Fürsten an die Spitze der Kirche und richteten so eine Art Staatskirchentum ein. Aber auch dort, wo – wie in den Erblanden und in Böhmen – die Gegenreformation triumphiert hatte, ging die Entwicklung schon bald in Richtung „Staatsanstalt“. Habsburg hat, unter hohem Einsatz, das ketzerische Volk der römischen Kirche nur unterworfen, um diese selbst zu einem Werkzeug dynastischer Herrschaft zu machen: eine der Gegenreformation inhärente doppelte Logik, die in der Kirchenpolitik Maria Theresias und Josephs II. voll zum Tragen kommen wird. In diesem (und nur in diesem) Sinne vollendet der Josephinismus, was die Gegenreformation begonnen hatte.

– Wolfgang Maderthaner –

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Der Augsburger Religions­friede

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25. September 1555, Augsburg. Der Augsburger Reichstagsabschied ist auch unter dem Namen "Augsburger Religionsfriede" bekannt. Dieser stellt eine Festschreibung der Glaubensspaltung im Reich dar. Der ausgehandelte Kompromiss sicherte den weltlichen Reichsständen das Wahlrecht zwischen dem katholischen und dem lutherischen Bekenntnis zu. In der Frage der geistlichen Territorien setzte Ferdinand den "geistlichen Vorbehalt" durch. Dies bedeutete, dass man sein Amt verlor, wenn man zum protestantischen Glauben übertrat. Für die Reichsstädte wurden Bestimmungen über das Nebeneinander der beiden Konfessionen festgeschrieben.