Grenzland

Dokument 16

Die Kopie einer 1581 erstellten Landkarte („Türkhisch geschriben und abgerißen“) vom Grenzbereich zwischen dem habsburgischen und dem osmanischen Reich ist ein bemerkenswertes Relikt, das wir dem Gesandten des Kaisers in Konstantinopel, Joachim von Sinzendorf, verdanken.

In den Beständen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs hat sich eine wahre kartografische Besonderheit erhalten. Es handelt sich dabei um eine Federzeichnung in schwarzer Tinte auf Papier, die in rotbrauner Farbe einige Hervorhebungen inhaltlicher Art aufweist. Von geografischer oder auch kartografischer Exaktheit kann keine Rede sein. Sie zeigt ein Netz von Flüssen, die an mehreren Stellen von in rotbrauner Farbe eingezeichneten Brücken überspannt werden. Zumeist an diesen Wasserläufen und eher selten von diesen weiter abgerückt sind mehr als 40 Orte in überwiegend doppelt und nur vereinzelt einfach ausgeführten Kreisen eingetragen, die mit „C“ für „Castellum“ (Burg) oder „B“ für „Balanka“ bzw. „Palanka“ (türkische Bezeichnung für ein befestigtes Lager) bezeichnet sind. Die naheliegende Annahme, bei den Doppelkreisen handle es sich um Burgen, bei den einfachen um geringer befestigte Plätze, trifft allerdings nicht zu. Am linken Blattrand ist das C(astellum) Varaschidin (Varaždin, Kroatien) eingezeichnet, wo eine Brücke über den Fluss (= die Drau) führt, flussabwärts ist an der Einmündung eines Flusses (= der Mur) die B(alanka) Lagrad (heute: Legrad) vermerkt. Von Legrad muraufwärts sind die B(alanka) Semenie (heute: Muraszemenye), das C(astellum) Debrún (wohl das heutige Dobri) und das C(astellum) Lendún (möglicherweise Lendava in Slowenien) vermerkt. Von Legrad drauabwärts findet sich die B(alanka) Bartsche (heute: Barcs), wobei zwischen Legrad und Barcs am rechten Flussufer, also südlich der Drava, mit den Worten le frontiere di Posega auf den nach dem heutigen Požega (etwa 80 km südlich von Barcs) benannten Grenzbereich (zwischen dem habsburgischen und dem osmanischen Reich) hingewiesen wird. Links, d.h. nördlich bzw. östlich der Drava, ist das castello Sekeluar zu erkennen, wohl das 1566 an die Osmanen gefallene Szigetvár, und beim C(astellum) Caperesch war handelt es sich unzweifelhaft um das heutige Kaposvár südlich des Balaton/Plattensees.

Im Zentrum des Blattes steht jedenfalls das zu beiden Seiten des Flusses Kanizsa gelegene C(astellum) Canischa, das heutige Nagykanizsa. Von hier in Richtung Drau ist rechts der Kanisza eine nova Balanka, links dieses Wasserlaufs eine nova fabrica Balanka, die als San Niklosch bezeichnet wird, eingezeichnet. Während ein Szent Miklos unweit südlich von Nagykanizsa noch auf der Josephinischen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts zu erkennen ist, dürfte es sich bei der rechts der Kanisza gelegenen Anlage um eine später abgekommene handeln. Zwischen Nagykanizsa und dem mehr schlecht als recht angedeuteten Balaton/ Plattensee ermöglichen es die Einzeichnungen des C(astellum) Salewar (heute: Zalavár) am Kis Balaton und des C(astellum) Comarom (nicht Komorn/Komárno/Komárom an der Donau, sondern Kiskomárom und Zalakomár südlich des Kis Balaton), eine markante Verdichtung von Festungsanlagen im Umfeld des für die Abwehr osmanischer Übergriffe wichtigen Nagykanizsa zu erkennen. Ohne dass es möglich ist, sämtliche der eingetragenen Plätze zu lokalisieren und mit heutigen Orten zu identifizieren, wird doch deutlich, dass es sich um eine nach Westen bzw. Nordwesten orientierte Kartenskizze handelt.

Während sich auf der Karte selbst italienische und ungarische Bezeichnungen, Letztere zum Teil deutlich entstellt, befinden, ist die Rückseite deutsch beschriftet, und es heißt hier: Abriß der Türkhisch geschribnen mappa, die der Weiz gewester Pascha zu Ofen herein an die Porten geschikht hat. Ein weiterer Vermerk auf dieser Rückseite (Einschluß zum 18. Januar 1581) weist auf den Überlieferungszusammenhang hin. Es war nämlich dem damaligen Vertreter des Kaisers an der Hohen Pforte, Joachim von Sinzendorf (1544– 1593/94; Botschafter in Istanbul 1578–1581), gelungen, sich von einer Türkhisch geschriben und abgerißen Mappa heimlich und – wie hinzuzufügen ist – gegen entsprechende Bestechungsgelder eine Kopie anfertigen zu lassen, die er seinem nach Wien geschickten Botschafterbericht beilegte.

Auftraggeber des verlorenen türkischen Originals war der damalige osmanische Provinzgouverneur (Beylerbeyi) von Buda (Ofen/Budapest) Kara Üveys Pas¸a – in deutschen Überlieferungen wird er „Weiz“ bzw. „Weiß“ genannt. Dieser osmanische Würdenträger war in verschiedenen Positionen tätig, darunter von 1578 bis zum Juni 1580 in der hier bezeugten Funktion in Buda, danach wurde er mit der Verwaltung verschiedener Provinzen im Osten des Reiches (Aleppo, Ägypten) betraut und starb 1591. Sinzendorf wusste, dass dieser osmanische Würdenträger es im Zuge seiner Aktivitäten verstanden hatte, sich von kaiserlichen und anderen Festungen in Ungarn Abrisse und Modelle anfertigen zu lassen. Sinzendorf selbst hatte diese Unterlagen, die der Pascha nach Istanbul hatte schicken lassen, sogar mit eigenen Augen gesehen. Während es ihm wegen der Furcht seines Informanten nicht möglich war, davon Kopien machen zu lassen, gelang es ihm, gegen entsprechende „Geschenke“ – einmal heißt es dezidiert, dass der Botschafter einer „geheimen Person“ 50 Taler habe zukommen lassen – zumindest eine Kopie der ebenfalls vorliegenden türkischen Mappa, unserer Kartenskizze, in die Hand zu bekommen.

Joachim von Sinzendorf ging es gemäß seinem Auftrag als ständiger Repräsentant der Habsburger am Hof der nach 1529 für den christlichen Westen immer bedrohlicher werdenden osmanischen Sultane darum, jedes seinem Monarchen möglicherweise gefährlich werdende Agieren der Vertreter der osmanischen Herrschaft in und über Ungarn möglichst umgehend aufzuzeigen. Wie er den in Buda residierenden Kara Üveys Pas¸a einschätzte, darüber ließ er in seinem Schreiben vom 18. Jänner 1581 an den Kaiser keine Zweifel aufkommen: Die beigelegte Kopie der türkischen Mappa zeige aufs deutlichste, was für ein extrem schändlicher Mensch der osmanische Provinzgouverneur mit seinen Machinationen gewesen sei (was ain uberschendlicher Mann Weiz mit seinen machinationibus gewest).

– Ferdinand Opll –

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Kartenskizze: Grenzbereich zwischen Osmanischem und Habsburger Reich

Dokument 16

Fließende Grenzen 1580/81: Federzeichnung des Grenzbereichs zwischen dem habsburgischen und dem Osmanischen Reich. 1581